Montag, 15. August 2011

Thüringen


Thüringen gab es als Verwaltungseinheit nicht mehr, genauso wenig wie Sachsen. Das ehemalige Territorium des Landes war in drei Bezirke geteilt wurden. Aber im Sprachgebrauch hatte ich das Gefühl, tauchte dieser Bergriff noch recht häufig auf. Die drei Bezirke das waren Gera, Erfurt und Suhl. Jeder Bezirk hatte eigene Autokennzeichen:
Gera    N
Suhl     O
Erfurt   F,L
Als ich durch Remda gefahren bin kam mir der Gedanke, den Onkel musst du mal besuchen. Obwohl Remda nicht weit von Erfurt entfernt war, bedeutete dies Standortüberschreitung. Remda gehörte auch nicht zum Bezirk Erfurt. Es war der letzte Zipfel vom Bezirk Gera. Erhielt ich Ausgang war dieser auf Erfurt beschränkt. Wurde man außerhalb von Erfurt von der Militärpolizei erwischt, war der Ausgang beendet und man konnte mit einer satten Bestrafung rechnen. Die Militärpolizei war sowieso eine Institution für sich. Mit denen legte man sich besser nicht an. Der nicht offizielle Ausdruck Kettenhunde, der von der Wehrmacht her rührte, war nicht verkehrt. Ich hatte ja schon meine Erfahrungen im ersten Diensthalbjahr mit der Militärpolizei gesammelt. Vor wenigen Tagen war im Bataillon ein Vorkommnis ausgewertet worden, das eigentlich den wahren Charakter dieser Truppe zeigte. Sie hatten im Zentrum von Erfurt, nach Mitternacht, einen sturtzbetrunkenen Soldaten aufgegriffen der nicht mehr richtig laufen konnte. Sie nahmen ihn mit, als er versuchte zu türmen hatte einer der beiden Berufsunteroffiziere seine Dienstwaffe gezogen und den Soldaten erschossen. Das zog natürlich Kreise, das hatten Touristen gesehen, das konnte man nicht unter den Teppich kehren. In dem Zusammenhang wurden wir noch einmal belehrt, der Gebrauch der Schusswaffe ist die höchste und letzte Form der Gewaltanwendung. Später wurde uns mitgeteilt, beide Berufsunteroffiziere, die für die Tat verantwortlich waren, wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Ich beantragte für den nächsten Sonntag Ausgang. Ausgang gab es ab 10.00 Uhr Meistens ging man eher, das war kein Problem wir bewachten ja unser Objekt selber. Der Spieß war Sonntag auch nicht in der Kaserne, der da hätte dazwischenfunken können. So schlich ich eine halbe Stunde vor 10.00 Uhr am OvD vorbei und machte mich auf zum Busbahnhof. Der war in der Nähe vom Hauptbahnhof und ich hatte  Glück. Der Bus fuhr 10 nach 10. Ich schaute mich um, wer noch in den Bus einstieg. Schließlich wollte ich keine unliebsamen Überraschungen erleben und da sah ich ihn.  Ihn war ein Soldat mit schwarzen Schulterstücken, genau dieselbe Farbe wie ich sie trug. Merkwürdig dachte ich, den kennst du gar nicht. Wenn er von unserer Truppe wäre hätte ich ihn schon einmal gesehen, zumal er die Schulterstücken geknickt hatte. Die Vizes kannte ich alle persönlich, der war niemals von unserer Truppe. Aber woher kam der? In Erfurt gab es keine andere Truppe mit schwarzen Schulterstücken. Eine Reisetasche hatte er auch nicht dabei, also musste er von hier irgendwoher sein. Der Bus war halbvoll, ich hatte einen Fensterplatz und döste vor mich hin. Vorbei ging es am Stausee Hohenfelden, durch Kranichfeld, der Landser mit den schwarzen Schulterstücken saß noch immer im Bus. Wir kamen nach Breitenherda, eine Haltestelle vor Remda. Jetzt konnte mir egal sein wo der hinwollte, ich war gleich da. Auf einmal hielt der Bus mitten auf der Landstraße, der Landser stieg aus. Erstaunt schaute ich nach vorne und vor Schreck klappte mir der Kiefer nach unten. Da stand eine Kaserne, wo noch nie eine war. Bloß gut das keine Offiziere mit im Bus waren, wenn die mich irgendetwas über die Kaserne gefragt hätten, ich hätte doch gar nicht gewusst was ich denen erzählen sollte. Die hätten doch sofort gemerkt, dass ich nicht von dieser Truppe war. Ich atmete tief durch und stieg die Nächste aus. Nur war bei Bernhard niemand zu Hause, auch der Hund war nicht da, weit konnten sie nicht sein. Ich hatte einen gewaltigen Respekt vor Hunden, um nicht zu sagen Angst. Ich lief an die Leite zu ihrem Gartengrundstück. Schon von weitem sah ich sie da rumwerkeln. Mich erkannten sie in der Uniform natürlich nicht. Umso größer war das Hallo, als sie sahen wer in dieser Kluft steckte. Als erstes borgte ich mir Zivilsachen. Als zweites gingen wir in die Pilze. Pilze gab es in Remda schon immer viel und ich ging gerne welche sammeln. Torsten, mein Cousin kam mit. Der Tag war schnell rum, das ist ja immer so wenn es schön ist. Ich fragte Bernhard über die Kaserne bei Remda aus. Er meinte die ist neu gebaut und sie vermuten dass da Raketen stationiert waren, denn wenn man genau hinschaute sah man einen Gang der in den Berg führte aber genaues wusste niemand. Merkwürdig meinte ich, schwarze Schulterstücke haben das Militärtransportwesen, chemische Truppen und Pioniereinheiten. Am Abend brachte Bernhard mich nach Stadtilm hier gingen wir Abendbrotessen. Im Anschluss fuhr ich mit dem Zug über Arnstadt nach Erfurt.  Ich hatte keine Lust mehr durch Erfurt zu bummeln und ging zurück in die Kaserne. Ich trug mich nun doch öfters mal in das Ausgangsbuch ein und er wurde meistens genehmigt. Eines Tages ging ich mit Soldat Massi in den Ausgang, der wusste wo eine bezahlbare Disco war. Ich hatte einen schlechten Samstag erwischt. Weit vor Mitternacht war ich so besoffen, das ich nicht mehr wusste ob ich Männlein oder Weiblein war. Die Disco war luftlinienmäßig gar nicht so weit von der Kaserne entfernt. Nur lagen dazwischen Wohnblocks und eine Gartenkolonie. Ich lief los, immer die Zielrichtung vor den Augen. Ich kletterte über Zäune und andere Hindernisse. Ich erinnere mich noch schwach, dass ich von einem Bungalowdach herunterschaute und an die unsanfte Landung. Sonntagfrüh bin ich dann in meinem Bett aufgewacht, mit den Ausgangssachen. Kummer sagte, Mensch warst du voll, du hast ja nicht mal alleine dein Bett gefunden. Ich zog mir erst einmal die Sachen aus und ging sie und mich waschen. Gott sei Dank hatte Bengert unser neuer Heizer schon das warme Wasser aufgedreht. So langsam kam ich zu mir. Wie bin ich eigentlich in die Kaserne gekommen? Ich wusste es nicht, die Wache meinte bei uns bist du nicht vorbei. Also muss ich in meinem Suff über die Mauer geklettert sein. Meine Klamotten waren zwar dreckig aber nicht zerissen. Wie hieß es doch so schön, Dumme und Besoffene…. Wenn man in Thüringen war, konnte man auch Westfernsehen empfangen. In Dresden war das ja unmöglich. Nur war uns das verboten und der Fernseher verplombt. Wir konnten keine Sender einstellen. Soldat Klotzsche war im zivilen Leben Fernsehmechaniker. Bengert knackte die Petschaft am Fernseher. Da hatte er richtiges Geschick, das machte er gut. Mit einer Nadel zog er die Petschaftsschnur heraus ohne das Siegel zu zerstören. Klotzsche lötete ein Relais in den Fernseher. Dann stellte er verschiedene Sachen ein. Zu guter Letzt schlossen wir den Fernseher und Bengert versiegelte ihn. Mit der Nadel fädelte er die Petschaftschnur wieder in das Siegel. Ich hätte die Geduld nicht gehabt. Über eine Buchse in der Rückwand führte Klotzsche dem Relais Strom aus einer Batterie zu und siehe da wir konnten die drei Programme des Nachbarlandes empfangen. Eine feine Sache.

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