Freitag, 12. August 2011

Der Neue

 Irgendwann musste der neue Batailloner kommen, genaues wusste niemand. Es hieß der Neue wäre ein ehemaliger stellvertretender Divisionskommandeur. Ich glaube in  unserer Division gab es fünf Stellvertreter. So genau interessierte mich das nicht, die konnten mir auch keinen Groschen wechseln. Auf alle Fälle bedeutete dies der neue Batailloner wäre die Karriereleiter nach unten gefallen. Es war wieder einmal ein Wochenende vorbei. Beim Morgenappell drang ein leises Gerücht durch. Auf der zweiten Kompanie hätten sie gestern Abend knapp 400 Flaschen Bier hochgezogen, es wäre ein Bataillonsappell im laufe des Tages fällig. Wir wollten gerade in den Fahrzeugpark abrücken, da kam der GOvD auf die Kompanie gestürmt, in 30 Minuten großer Appell vor der dritten Kompanie. Wir nahmen Aufstellung, die Stabsoffiziere erschienen unter ihnen ein Oberstleutnant, den niemand von uns kannte. Er stellte sich vor. Oberstleutnant Zirl, ihre neuer Kommandeur, sagte er kurz und bündig. Irgendwie schien er einen Sprachfehler zu haben, er betonte die Worte eigenartig, genau genommen falsch. Er hätte sich seinen Einstand auch anders vorgestellt aber was er gestern Abend erlebt hatte, würde dem Fass den Boden ausschlagen. Er hatte 20.00 Uhr seinen Privat – Pkw im Garagengelände geparkt, als 10 Soldaten in ihren Trainingsanzügen über die Mauer klettern wollten mit 20 Sturmgepäckteilen. Als er sie angesprochen hatte, hätte einer aus der Gruppe gerufen, das geht sie gar nichts an verschwinden sie, wir können auch anders.
Ein betretenes Schweigen herrschte. Jedem war klar dass er in zivilen Sachen unterwegs war und da ihn keiner kannte, hatte ihn auch keiner erkennen können. An der Wache hatte er seinen Dienstausweis gezückt und mit deren Hilfe hätten sie die Soldaten dingfest gemacht. Unglaublich meinte er, alles Soldaten des ersten Diensthalbjahres. Aber er wüste genau wer dahinter steckt. Aus diesem Grund würde er auf eine Bestrafung der Soldaten verzichten. Er rief die Soldaten des ersten Diensthalbjahres nach vorne. Die Wache brachte die Bierteile. Die Soldaten mussten die Flaschen öffnen und in die Schleuse gießen. Patschen der unweit von mir stand, sagte, einmal in meinem Leben möchte ich Schleuse sein.
Eine Woche später kam Vater mich besuchen. Ich hatte Ausgang während der Dienstzeitbeantragt und auch genehmigt bekommen. Ich musste in Erfurt aufs Amt wegen der Vaterschaftsanerkennung von Thomas. Nach ca. 4 Stunden hatte ich meinen  Kram erledigt. Vater lud mich zum Essen ein bevor er zurück nach Dresden fuhr. Ich brachte ihn noch zum Zug. In den nächsten Tagen waren wieder verstärkt Übungen angesagt. Wir fuhren auf den Drosselacker. Es stand Motschützenausbildung auf dem Programm. Mit dem lächerlichen Klappspaten mussten wir uns eingraben, Sturmangriff üben und das allseits beliebte Spiel der chemischen Kampfausbildung spielen. Fähnrich Gebauer war anwesend. Er war für die ABC Ausrüstung zuständig. Er überprüfte bei jedem Soldaten persönlich die Ausrüstung. Ungefähr ein drittel der Truppe musste diverse Teile der Ausrüstung tauschen. Die Funktionsweise des Geiger – Müller – Zählers wurde demonstriert. Im Anschluss wurden die neusten Entkeimungstabletten gezeigt und der Gebrauch der Sterilisierungsspritze vorgeführt. Der Fähnrich jagte sie sich gleich durch die Hose in den Oberschenkel. Eigentlich wie fast alle Fähnriche und Offiziere hatte er auch einen Spitznamen, der von Generation zu Generation weiter gegeben wurde, er war der Gaser. Weil er unter anderem die Gasmasken verwaltete. Die Gasmasken waren russische Modele. Der Filter wurde im Gegensatz zur deutschen Gasmaske in einer Tasche verstaut. Er wollte uns das neuste Model vorführen. Seine Mimik wirkte sowieso immer linkisch. Nun  war bei ihm aber ein starker Kropf  ausgebildet und die Gasmaske war etwas zu eng. Wie so ein Gockel warf er seinen Kopf hin und her, weil er die Gasmaske nicht gleich über bekam. Wir machten uns vor lachen bald in die Hose. Das machte ihn nur noch nervöser und er wurde immer fitziger.  Am nächsten Tag waren Fahrübungen im Gelände angesetzt. Für die Tanker war das immer so ein Spiel mit dem Feuer. Sie waren ja nicht für das Gelände konzipiert worden. Roos achtete streng darauf dass die Tanker nicht ins schwere Gelände gerieten. Mit seinem Sattelzug sollte Spielvogel Frank einen Weg erledigen. Durch den Lärm der auf dem Übungsplatz herrschte hatte Frank den Befehl von Roos nicht richtig verstanden und fuhr in die falsche Richtung.  Roos tobte, dummerweise stand ich mit meinem Tanker unmittelbar neben ihn. Los Müller dem Spielvogel hinterher, er sprang auf. Mit dem Tanker jemand einholen, das war eine Sache für sich. Roos brüllte immer wieder geben sie ordentlich Gas Müller. Als ich Frank eingeholt hatte gab ich Lichthupe. Er hielt an, ich dahinter. Roos tobte wie ein Wahni, Spielvogel sie sind der dümmste Vogel der hier rumflattert. Mich haute es vor lachen bald weg. Niemand konnte sagen, die Armee wäre humorlos. Ein Lachen was ich bald bereuen sollte. Es hatte Frank schwer gekränkt. Unser kameradschaftliches Verhältnis war sichtlich gestört und das sollte noch eine ganze Weile anhalten. Er redete mit niemand darüber, es war eine Art stummer Protest, er schnitt mich wo es nur ging. Selbst als er es nach einem halben Jahr verarbeitet hatte, merkte ich  in seinem Hinterkopf den erhobenen Zeigefinger. Am dritten und letzten Tag der Übung war fahren auf der Straße angesetzt. Wir fuhren Richtung Arnstadt. In der Ferne sah ich die Wachsenburg auftauchen. Wir rollten Richtung Thüringer Wald, durch Arnstadt. Das war ein Stück Arbeit für die Kradmelder wenn es durch Städte ging. Sie mussten ja immer die Straßen für uns frei halten. Da hatten die beiden gewaltig zu tun.  Mit halsbrecherischen Manövern zogen sie oftmals an der Fahrzeugkolonne vorbei. Dann ging es in die Berge, wir verließen die Straße und fuhren auf eine Bergwiese. Wir walzten die unter Naturschutz stehenden Silberdisteln die hier wuchsen vollkommen platt. Silberdisteln wuchsen nur auf kalkhaltigen Böden und der hier war ideal für die Pflanzen. Wie immer tobte Roos zwischen den Fahrzeugen hin und her und löffelte wenigstens jeden zweiten Fahrer voll, er würde nicht an der richtigen Stelle stehen. Die Zugführer teilten die Feldwachen ein. Der Rest tarnte die Fahrzeuge ab und baute das Kompaniezelt auf. Roos brüllte schon wieder rum, wehe ich erwische jemanden während der Nachtruhe in den Fahrzeugen. Die meisten Soldaten schliefen lieber im Auto, da gab es eine Heizung und es war auch ruhiger als in so einem Massenzelt. Wenn man im Fahrerhaus schlief gab es ein ausgeklügeltes System. Bis zu drei Mann konnten da schlafen. Auf  der Beifahrerseite befand sich eine Bank. Zwei Beifahrer fanden da bequem platz und auch die Rückenlehne war durchgängig. Diese wurde in die Waagerechte geklappt und mit Stangen vom Tarnnetz abgestützt. Wie in einem Doppelstockbett konnte einer oben und unten schlafen. Der dritte Mann schlief auf dem Fußboden. Die Nacht kontrollierte Roos die Nachtwachen persönlich und er fand auch zwei Gefreite die doch im Lkw schliefen. Die pelzte er lautstark aus den Fahrzeugen. Eigentlich waren es mehr die da schliefen aber durch sein Rumgeschreie konnten sich die Anderen verdünnisieren. Beim Morgenappell ließ er sich wieder über die Disziplinlosigkeit der Soldaten aus. Warum das so war, darüber dachte er wahrscheinlich nie nach. Nachdem wir unser Gourmetfrühstück eingenommen hatten, rückten wir wieder ab. Die Wurstbüchsen hatte ich wie meisten mit dem Seitengewehr aufgehebelt.  So von oben sah man wie schön die Landschaft war. Vor unseren Füßen lagen die drei Gleichen. Erbauen lassen hatten die Burgen einst die von Greifenstein. Zwei der Burgen waren noch als Ruinen recht gut erhalten und auf der Wachsenburg befand sich ein Hotel. Über Arnstadt fuhren wir nach Mühlberg. Hier stand die Mühlburg. Weiter ging es, wir unterquerten die Autobahn. Auf dieser Seite befand sich die Burg Gleichen, der Namensgeber der Schwestern. Von hier war es nur ein Katzensprung bis Erfurt. Da wir aber über die ganzen Nester dümpelten die am Wegrand lagen dauerte es seine Zeit bis wir in der Kaserne waren. Eines dieser Dörfer durch die wir fuhren war Neudietendorf. Hier wurde einer der besten Kräuterschnäpse der DDR gebrannt. Mein Kurzurlaub stand an. Aus unserem Zimmer waren wir drei Soldaten die in den Urlaub durften. Der neue Spieß ( veraltete Bezeichnung für den Hauptfeldwebel ) den wir für Hauptfeld Hofmann bekommen hatten, kam von den Fallschirmjägern und die die zu uns kamen, kamen meistens nie freiwillig. Sie waren in aller Regel strafversetzt. So war es auch diesmal. Wir waren gespannt wie ein Flitzebogen was das für ein Typ war. Denn die Fallschirmjäger waren eine Eliteeinheit der NVA, da dienten nur Berufssoldaten, wenigstens drei Jahre. Die Ausbildung der Truppe ging bis ans physisch Machbare. Schnell merkten wir, er war ein Umgänglicher. Nach dem Motto lasst mich in Ruhe, dann lass ich euch in Ruhe. Er hielt sich auch daran. So kamen wir ohne Stress in den Urlaub. Conny und ich hatten ein Haufen Wege zu erledigen, denn schließlich wollten wir im September heiraten. Die meisten Einladungen waren geschrieben. Ihre Freunde
wollte sie persönlich einladen. Irgendetwas stimmte nicht mit Conny, sie hatte sich nach der Geburt von Thomas verändert. Ich spürte das ganz genau und überlegte ob ich die Hochzeit verschieben sollte. So kurz vor her, ich getraute es mir nicht. Nach dem Motto wird schon schief gehen, da musst du jetzt durch. Das Thema war viel zu komplex, da musste man sich mit jemanden ausführlich  beraten. Übermorgen ging es ja schon wieder zurück. Ich ging Vormittag in die Firma um mal zu sehen was es da neues gab. Sie hatten wirklich jede menge neue Fräsmaschinen und Drehbänke aus dem nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet gekauft. In einem Monat sollten die ersten Arbeiter in den Dohnaer Betriebsteil. Dort wurden die neuen Maschinen montiert. Rainer mein ehemaliger Lehrfacharbeiter erklärte mir der ganze Formenneubau soll nach Dohna ausgelagert werden. Wenn du wiederkommst fängst du dann in Dohna an zu arbeiten. Das verdeutlichte mir, du brauchst dann mit deiner Familie eine Wohnung in Heidenau. Am Nachmittag machten wir uns auf zu einer Freundin von Conny. Sie wohnte mit ihrem Mann in der Dresdner Neustadt, eines der „Goldstaubviertel“ von Dresden, auf der Alaunstraße.  Ute war eine ehemalige Kollegin von Cornelia. Das Haus wo sie wohnten war eine Lückenbebauung. Ein neuer Baustil im alten verfallenden Gründerzeitviertel. Ute war mit einem Sorben verheiratet, der auf dem wundersamen Namen Mickitiuk hörte. Bei ihm hatte ich den Eindruck er hatte ein Problem. Das hieß Alkohol. Er trank viel Schnaps. Obwohl ich ihn niemals danach fragte, hatte er mir schon einmal erklärt warum. Ich dachte der sucht nur einen Vorwand um seinen Durst zu ummänteln. Er hatte ein weiteres Problem, das war mir bis zu dem Besuch allerdings nicht bekannt, das Problem war ich. Er hatte ein Auge auf Cornelia geworfen und war entsetzt das wir heiraten wollten. Eifersüchtig und von einer Alkoholwolke umhüllt stürzte er sich auf mich und fing an mich zu würgen. Er rief immer wieder du nimmst mir meine Conny weg. Ute stand ganz betreten daneben und schrie ihn an hör auf. Ich dachte so ein Weichseil, wie kann man seine eigene Frau so vor anderen Leuten entblößen. Ich zog mein linkes Knie einmal kurz aber kräftig nach oben und trat ihn in seine Weichteile. Der große Kerl viel in sich zusammen wie ein nasser Sack und jammerte rum. Ich sagte zu Ute, Conny und ich gehen jetzt, ob ihr zu unserer Hochzeit kommen wollt, müsst ihr alleine entscheiden.
Am nächsten Abend fuhr ich zurück, meine inneren Zweifel an der Hochzeit hatten sich nur noch verstärkt nach dem Vorgefallenen. Das Leben konnte schon ganz schön kompliziert sein.


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