Donnerstag, 25. August 2011

Der Freundschaftswettkampf

Schnell war man in den Trott der Armee zurück gekehrt, der militärische Alltag holte einen fix ein. Eines Tages hieß es, es würde sportliche Freundschaftswettkämpfe mit den sowjetischen Soldaten geben. In den Disziplinen 3000 Meterlauf, Handgranatenweitwurf, Weitsprung, Schießen und Sturmbahnlauf sollten die Besten ermittelt werden. Von unserer Kompanie hatten sich unter anderem Thomas Kuchta und Andreas Kempe gemeldet. Es war ein Wochenende an dem der Wettkampf statt fand. Die russischen Offiziere kamen uns auf den Kompanien besuchen. Sie waren freundlich und nett  und brachten kleine Geschenke mit. Einer der Offiziere machte einen kleinen Pappkoffer auf  und legte aufs Zimmer mehrere Schachteln Zigaretten. Misstrauisch begutachteten wir die Schachteln. Mühsam entzifferte ich die kyrillischen Buchstaben, Siwernye hieß die Sorte. Meise machte eine Schachtel auf. Es waren filterlose Zigaretten. Der lange Müller roch an ihnen und sagte die riechen wie russisches Steppengras, wir lachten. Meise zündete sich als erster eine an, er rauchte sowieso meistens filterlose Zigaretten. Er meinte, die schmecken wie getrocknete Kamelscheiße. Sie stanken wirklich fürchterlich. Ich sagte, das muss man positiv sehen, da fallen die Mücken Tod von den Wänden. Ich probierte auch eine. Nach der Hälfte drückte ich sie aus. Das Steppenkraut war ziemlich stark und schmeckte wirklich nicht besonders. Ich meinte zwei Schachteln stecke ich mir  ein, wenn man mal wieder knapp bei Kasse ist, müssen die eben reichen. Wir teilen die Schachteln unter uns Rauchern auf. Zum Wettkampf ging ich nicht, er fand ja in der Freizeit statt, da konnten die mich alle mal. Lieber haute ich mich in die Koje und lauschte am Bettzipfel. Die Auswertung des Wettkampfes war interessant. Die Russen hatten drei von fünf Disziplinen gewonnen. Aber die Plätze zwei bis fünf belegten unsere Soldaten. In der Mannschaftswertung waren wir Deutschen einfach besser. Hoffentlich wurden die russischen Soldaten nicht bestraft. Sie wurden sowieso wie Tiere gehalten. Einmal hatten wir während des ersten Diensthalbjahres eine russische Kaserne besucht. Die Soldaten schliefen in Sälen bis zu 70 Personen. Sie hatten einen einzigen Schrank. Der war endlos lang und mit Schiebetüren versehen. Die einzelnen Fächer und Regale waren durchnummeriert und den Soldaten zugeteilt. Zwei Jahre mussten sie in Deutschland dienen, davor ein Jahr in ihrer Heimat. Einen Anspruch auf Heimaturlaub gab es nicht, der konnte gewährt werden. Ausgang war nur in Gruppe möglich.  Die russischen Kasernen sahen meistens verkommen aus aber pik sauber waren sie von innen.  Die russischen Soldaten durften  nicht einmal auf unsere Kompanien, damit sie nicht sahen, wie „luxuriös“  die NVA – Soldaten lebten. Da fragte man sich schon, wie konnte so eine Armee den Weltkrieg gewinnen. Denn die kriegsentscheidenden Schlachten hatten nun mal die Russen gewonnen, und nicht die Amerikaner oder die Engländer, von den Franzosen ganz zu schweigen. Laut durfte man so eine Frage natürlich nicht stellen. Davon mal abgesehen hatten die Ideologen immer eine Antwort parat.          
Wir versuchten es uns schon gemütlich  auf den Zimmern zu machen. Den Umständen natürlich entsprechend. Meise, Dietmar und Rudi fuhren öfters mal raus um ihren Sprit in andere Kasernen zu fahren. Hin und wieder gingen sie einkaufen, so etwas war natürlich auch eine Kostenfrage. Manchmal brachten sie ein paar Flaschen Fruchtwein mit. Da kam der Liter eine knappe Mark. Die andere Seite war,  solche Dinge gab es schwer zu kaufen. Die DDR verfügte über eine Mangelwirtschaft. Eines Tages brachte Rudi ein Kilo Hackepeter mit rein. Ich hatte aus der Küche ein paar Zwiebeln  besorgt.  Mario und Uwe machte sich ans Zwiebel schneiden, Müller kochte Tee jeder hatte zu tun. Nur ich lag faul auf dem Bett und belegte Mario dumm, nicht böse aber nervend.  Nach einer Weile stand ich auf und wollte auf die Toilette, ich musste an Mario vorbei. Der sagte zu mir, das wird ja Zeit das du fauler Sack dich auch einmal bewegst. Ich sah aus dem Augenwinkel er wollte mir mit einem Gegenstand auf meinen Allerwertesten schlagen. Mit der linken Hand schlug ich gegen dieses ominöse Objekt. Das entpuppte sich als Messer und ich schnitt mir meinen linken Ringfinger bis zum Knochen auf. Mario war genauso erschrocken wie ich und holte schnell ein Pflaster. Das war nach wenigen Sekunden durchgesuppt genauso wie der Verbandsmull den wir dann anlegten. Mario meinte da müssen wir zum Doc, das muss genäht werden. Wir sausten ins Sanitätsbataillon. Der Doc. war nicht mehr da aber der Feldscher. Der Fähnrich hatte von uns den Namen Fleischer verpasst bekommen. Der blühte richtig auf als er den Finger nähen konnte. Die nächste Woche war ich Innendienstkrank. 
Die E`s von den Sattelschlepperfahrern erledigten ihre Einkäufe prinzipiell mit dem Fahrzeug. Samstag nach Dienstschluss war der Fuhrpark oftmals nicht verschlossen, da einige mit ihren Arbeiten am Fahrzeug bis 12 nicht fertig wurden. Die E.s  nutzten das zu Schwarzfahrten. Von den Offizieren war nur der OvD im Bataillon und der wusste nicht bescheid, wer einen Fahrauftrag hatte und wer nicht. Die Wache interessierte es gleich gar nicht. Warum sollten wir unseren eigenen Kameraden Stress machen. Die Fahrzeuge mussten natürlich wieder betankt werden. Die Tatras waren Dieselfahrzeuge. Es langte zu wenn ein drittel des Kraftstoffes im Tank Diesel war. Der Rest konnte Benzin sein. Das mit dem Betanken wurde zum Problem. Die Tankerfahrer hatten Angst. Der Militärstaatsanwalt hatte gerade seinen eigenen Fahrer zu vier Monaten Schwedt verurteilt, als er mitbekam, das dieser Sprit heimlich verkauft hatte, ein exemplarisches Urteil. Mich störte das nicht, ich tankte die Fahrzeuge auf. Was sollte da schon passieren?  Einmal im halben Jahr wurden die Fahrzeuge ausgelitert, mit anderen Worten es wurde nachgemessen wie viel Benzin verflogen war. Jeder Tanker verfügte über einen Kapillarfilter wo die entstehenden Gase entweichen konnten. Klar wenn man andere Fahrzeuge betankt, war der Verdunstungsgrad etwas höher und bei mir war er am höchsten. Ich sagte zu Patschen und  Roos das ist nur logisch, schließlich fahre ich einen von  zwei Tankern mit VK 79. Das niedrig oktanische Benzin verflüchtigt sich nun mal schneller und Unterschiede gibt es zwischen jeden Tanker, das liegt sicherlich an den Filtern. Außerdem gibt der andere VK 79 Tanker sein Benzin öfters mal in Kasernen ab und wird zwischenrein mit neuem Kraftstoff versehen. Das war für beide logisch und sie bohrten nicht weiter nach. Das Tanklager für die Tanker war in Erfurt Marbach. Dort residierte Fähnrich Brausewetter. Der war formell Roos unterstellt, aber eben weit, weit weg. Wenn er mal in der Kompanie auftauchte, brachte er eine Flasche Schnaps mit und verschwand bei Roos im Dienstzimmer. Das war ein offenes Geheimnis, das wusste jeder. Solche Aktionen wie das Betanken und dem Auslitern der Fahrzeuge sprachen sich unter den Soldaten schnell rum und ich galt bald als harter Hund unter ihnen. Das hatte zur Folge, das erste Diensthalbjahr hatte großen Respekt vor mir. Wenn es irgendwelchen Ärger mit ihnen auf dem Zimmer gab, schoben mich meine Zimmerkameraden vors Loch. Ich hatte damit kein Problem.                              
In meiner Freizeit las ich gerne mal ein Buch. Im Bataillon befand sich eine Bibliothek. Viel Schundliteratur gab es da. Das einzig Interessante  war die Bibliothekarin. Als frisch Verheirateter schaute man natürlich nur mit einem halben Auge hin. Im Fernsehzimmer der Kompanie standen in den Schränken auch Bücher herum. Keine Sau schaute da hin. Irgendwann machte ich mir doch die Mühe und stellte erstaunt fest, es standen da mehrere Bücher von Solschenizyn. Es musste schon sehr lange her sein, das hier jemand nachgeschaut hatte. Denn dieser russische Schriftsteller war in der DDR unerwünscht bzw. verboten. Da konnte man mal sehen, wann ein Offizier hier das letzte Mal reingeschaut hatte, vielleicht tauchten hier noch alte Wehrmachtsbücher auf. Ich schnappte mir so ein Buch und fing es an zu lesen. Naja es ging um den großen Vaterländischen Krieg, wie die Russen den letzten Weltkrieg umschrieben. Im Großen und Ganzen beschrieb es  den „ruhmreichen Sieg“ der Sowjetarmee. Das übliche Gelaber, aber halt eine Passage des Buches widmete er dem Einmarsch der Sowjetarmee 1939 in Polen. Das war Interessant. Wenn das stimmte was da stand, hatten die Russen ihren Krieg gegen die Polen  mit den Deutschen gemeinsam geplant. Er ummantelte das natürlich geschickt mit den Worten, zum Schutze der Heimatinteressen haben sie Ostpolnische Gebiete besetzt. So etwas barg natürlich politischen Sprengstoff.  Kein Wunder das seine Schriften im Osten verboten waren.

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