Donnerstag, 8. September 2011

Wache


 Noch im November gingen wir in den Ausgang, wir mussten auch  in der Öffentlichkeit unser EK sein zur Schau stellen. Ich ging mit den Sattelfahrern raus. Da schaut Luderer nie so genau hin wenn die sich ins Ausgangsbuch eintrugen, da vermutete er mich nicht. Beliebt bei uns Soldaten war es auf den Anger in Erfurt zu gehen. Da gab es die meisten Kneipen. Erfurt war Garnisonsstadt, es waren immer reichlich Soldaten in der Stadt  und in den Lokalitäten. Chaleri suchte die Kneipe aus, es war schon ein ganzer Schwung Motschützen und Artilleristen anwesend, alles Gefreite. Es gab ein großes Hallo, wir sollten mit ranrücken. Einer der Mucker sagte zu mir, du nicht, du Zwischenpisser. Empört antwortete ich, du hast wohl Höhe du Sackgesicht und zog mein Maßband. Voller Wut brüllte der Alkohol aus ihm, seit wann haben Zwischenhunde Maßbänder. Schau mal auf meine Schulterstücke du Pfeife, wenn hier einer in der Runde ein wahrer E ist dann bin ich das. Er beruhigte sich nicht so schnell, selbst als Chaleri bestätigte dass ich ein E war. Die Schulterstücken kann sich jeder so knicken, pöbelte er weiter, ich will deinen Wehrpass sehen, brüllte er in seiner Rasche. Damit hatte ich kein Problem und drückte ihm das Ding unter die Nase. Er wurde ruhiger und meinte du bist wirklich ein wahrer E, deine Rechnung ist schon bezahlt. Auch das war wieder eines der vielen ungeschriebenen Gesetzte bei der Armee. War einer E und nicht Gefreiter hatten die Gefreiten die Rechnung zu übernehmen. Das war mehr wie nur Anerkennung, denn schließlich bekam der Gefreite 30 Mark mehr Sold. Es war ein Stück Gerechtigkeit. Sie ließen mein Bier gleich auf ihre Bierdeckel schreiben. Wir bekamen an diesem Abend sogar noch ein ganz vernünftiges Gespräch zu Stande, die Motschützen waren ein bunt zusammen gewürfelter Haufen aus der ganzen Republik. Nicht so wie wir, die mehrheitlich aus dem Bezirk Dresden kamen. Ihre Ausbildung war um ein vielfaches härter gewesen wie die Eigene.
Der Wachdienst nahm uns immer mehr in Anspruch. Das spezifische in unserer Kompanie war, die Tankerfahrer standen immer mehr Wache wie die Sattelschlepperfahrer. Das hatte folgenden Hintergrund. Die Fahrschulausbildung wurde ausschließlich mit den Sattelschleppern durchgeführt. Es war verboten mit den Tankern die Fahrübungen in der Stadt abzuhalten, was auch irgendwo vernünftig war. Also mussten wir die Wache übernehmen. Die ersten zwei, drei Wachen vielen mir recht schwer aber dann hatte man sich an den Rhythmus gewöhnt. Wache stehen war ein 24 Stundendienst. Es gab im Bataillon  5 Wachposten und das KDL. Jeder Posten war mit drei Soldaten besetzt. Einer Stand Wache, einer Bereitschaft und einer hatte Wachfrei. Das KDL war mit einem Uffz. und drei Soldaten besetzt. Hier galt das Prinzip, Wache, Bereitschaft und Frei genauso. Die Posten 1 und 2 wurden ausschließlich Nachts besetzt. Der merkwürdigste Posten war der vor dem Fahrzeugpark. Man befand sich da wie auf einen Repräsentierteller. Der Eingang zum Fahrzeugpark befand sich unmittelbar neben dem Stabsgebäude. Dort saßen der OvD und der Batailloner. Tags über stand man unter einem Postenpilz. Um diesen herum war eine Fläche von 2 qm gekennzeichnet. Diese durfte man nicht verlassen. Jeden ollen Buckel der da vorbeikam musste man grüßen. Das stank mir natürlich gewaltig. Meistens stellte ich mich so das ich die Buckels nicht sah. Gott sei Dank hatte ich den Posten nicht allzu oft. Von 18.00 bis 06.00 Uhr lief der Posten im Gelände des Fahrzeugparks seine Wachrunde. Das Gute an dem Posten war, musste im Fahrzeugpark gearbeitet werden, wurde die Wache ab dem Zeitpunkt eingezogen. Wochentags war das zu 99 Prozent so aber am Wochenende hatte es einen angeschissen. Rauchen war während des Postens stehen  natürlich verboten. Wachdienst nach Vorschrift hieß, es wurde aller zwei Stunden der Posten gewechselt. Allerdings lief der Wachdienst meist wie folgt ab:
18.00 erfolgte die Wachablösung. Der Postenführer in der Regel der Wachhabende schaffte einen auf den Posten und die alte Wache begleitete den Wachhabenden zum Wachlokal. Nicht ohne vorher das Gewehr entladen zu haben. Alles erfolgte nach einem streng festgelegten Ablauf. Die Wache lief auf den dafür vorgesehenen Platz und nahm in Reih und Glied Aufstellung. Der Postenführer rief den einzelnen Posten auf. Der trat vor, nahm das Magazin aus dem Gewehr, entsicherte es und lud durch. Der Postenführer kontrollierte ob sich eine Patrone im Lauf befand. Gewöhnlich war das nicht der Fall, ansonsten musste sie entfernt werden. Dann betätigte der Posten den Abzug und sicherte das Gewehr wieder. Dabei durfte die Waffe nie auf Menschen gerichtet werden, sie musste immer schräg nach oben Richtung Himmel zeigen. Auch der Postenwechsel erfolgte nach genauen Vorschriften. Erschien der Postenführer im Postenbereich hatte ihn der Posten wie folgt anzurufen, halt wer da. Der Postenführer musste stehen bleiben und Auskunft geben. Zum Beispiel Postenführer Graichen mit OvD und 4 Soldaten. Erst dann konnte der Postenwechsel vollzogen werden. War die Prozdur endlich beendet hatte man Bereitschaft zumindest theoretisch, denn praktisch galt das nur für den Springer. Der Vize und der E hatten Freizeit. Freizeit hieß man durfte sich im Wachlokal bewegen und seine Zeit mit mehr oder weniger sinnvoller Tätigkeit totschlagen. An erster Stelle stand da natürlich schlafen, gefolgt von Skat spielen. Glücksspiele waren zwar verboten, aber das interessierte keinen. Manchmal nahmen wir auch die Waffen auseinander um zu sehen wer sie am schnellsten wieder zusammenbekam. Wenn man so eine Kalaschnikow richtig auseinander nahm, hatte man schätzungsweise 30 Einzelteile rum liegen. Ich war da richtig gut beim Zusammenbau. Meistens war ich der Schnellste. Genau genommen war das auch verboten, während der Wache solche Spiele zu betreiben. 22.00 Uhr wurde der Postenwechsel gemacht. In den meisten Fällen kam der OvD mit. Dann haute auch er sich aufs Ohr. Für gewöhnlich trafen sich die Soldaten an den Punkten wo die einzelnen Postenwege sich tangierten, quatschten, rauchten oder hörten ihr kleines Postenradio. Auf diese Art und Weise verging die Zeit am schnellsten. Die nächsten Postenwechsel waren 02.00 und 06.00 Uhr. In dem Rhythmus ging es weiter bis 18.00 Uhr. Dann hatten wir 24 Stunden wachfrei um nach dieser Zeit erneut auf zu ziehen. Bei mir lief das Wacheschieben etwas anders ab. Uffz. Graichen war meistens unser Wachhabender. Er war genauso E wie ich und er war während des ersten Diensthalbjahres mein Gruppenführer. Er teilte mir immer Öfter einen Nachtposten zu und zwar den Posten 2. Nach kurzer Zeit stand ich fast nur noch diesen Posten. Der Postenweg verlief hinter unserer Kaserne. Graichen richtete es so ein, das ich 18.00 Uhr auf Posten zog. Kaum war ich auf dem Posten, nahm ich das Magazin aus dem Gewehr versteckte es gut, dass es auch wirklich niemand finden konnte. Im Anschluss verkrümelte ich mich auf die Kompanie fernsehen gucken. Graichen oder die anderen Wachhabenden wussten Bescheid. Passierte etwas Unvorhergesehenes riefen sie auf der Kompanie an und eine Minute später stand ich auf dem Postenweg. Nach dem Postenwechsel haute ich mich aufs Ohr und schlief oftmals bis Mittag. Auf diese Art und Weise war Postenschieben ein angenehmer Shop. Aber Wehe Roos hatte OvD, da mussten wir Dienst nach Vorschrift machen. Der hielt uns die ganze Nacht auf trab. Er wusste ja dass die Nachtposten nach 06.00 Uhr abmatteten  und dies missgönnte er uns. Er teilte  die Nachtposten für gewöhnlich zu irgendwelchen Arbeiten ein. Das Mißviel aber dem Batailloner und bestellte Roos zum Raport.  Roos war wirklich  bescheuert. Er konnte es nicht lassen und versuchte als Kompaniechef in das Wachlokal zu kommen um Soldaten für seinen Blödsinn ab zu ziehen. Uffz. Graichen ließ ihn gar nicht erst in das Wachlokal. Als Roos renitent wurde, rief er den OvD. Der drohte ihn verhaften zu lassen, wenn er sich nicht Augenblicklich davon macht. Wir lachten voller Schadenfreude über seine Dummheit und stimmten das EK – Lied an. Anfang Dezember wurde es bitter kalt. Die Temperatur viel Zeitweise auf minus 20 Grad Celsius. Wir hatten die Oma tief ins Gesicht gezogen. Freiwillig machten wir Dienst nach Vorschrift und wechselten aller zwei Stunden. Auf dem Postenweg 3 befand sich ein Wachturm. Der wurde nur tagsüber besetzt. Wir zogen uns bei der Kälte dorthin zurück, in der Hoffnung die gröbste Kälte fernzuhalten. Die Hoffnung starb zuletzt. Hin und wieder dachte ich, wenn manche wüsten wie hier Wache geschoben wurde, würden sie öfters mal versuchen an Sprit zu kommen.





Montag, 5. September 2011

Die einzig wahren E's



Am 2. November wurde ich zur Wache eingeteilt. Ich war der Soldat von unserem Diensthalbjahr der die wenigsten Wachen gestanden hatte. Das sollte sich nun schlagartig ändern. Uffz. Graichen war der Wachhabende, er teilte die Posten ein und machte die Wachbelehrung. Meise, Bengert und ich ließen uns ans KDL einteilen. Wir wollten unbedingt die Neuen in Empfang nehmen. Erst einmal nahmen wir 17.00 Uhr unsere Waffen in Empfang und mumpelten zwei Magazine mit insgesamt 60 Schuss auf. Beim Munitionsempfang kam die deutsche Pinglichkeit so richtig zur Geltung. Für jede einzelne  Patrone wurde in ein viereckiges Brett ein Loch gebohrt. 120 Löscher befanden sich auf solch einem Brett. Exakt ausgerichtet im Raster 4 x 30. So konnte der Unteroffizier auf dem ersten Blick erkennen ob eine Patrone fehlt. Die Bretter trugen bei uns den Namen Mumpelbretter. Wehe es fehlte eine Mumpel, da hatte man ein Problem an der Backe. Unter der Hand kam man immer an Munition ran, die Uffze. hatten während ihrer Dienstzeit genug Möglichkeiten sich Patronen zu besorgen. Es galt der Tauschsatz eine Mumpel ein Teil Bier. Aber ich passte da immer auf das keine abhanden kam, das fehlte noch, den Hohlkörpern von Unteroffizieren Bier in den Rachen zu schütten. Wenn man bei Manövern mit russischen Soldaten zusammenkam, konnte wer wollte, sich bei den Russen immer welcher erhandeln. Die trugen teilweise die Patronen in den Hosentaschen. 18.00 Uhr zogen wir zur Vergatterung. Der Wachwechsel verlief reibungslos. OvD war Hauptmann Pemsel, ein Offizier der ersten Kompanie. Der war ein richtiger Kampftrinker. Wenn er gut drauf war hatte er während des Dienstes seine Bluse zur Hälfte aufgeknöpft und die Schirmmütze in den Nacken geschoben. Wir nannten ihn Papa Pemsel.
15.00 Uhr sollten die neuen Springer am Bahnhof eintreffen. Graichen teilte uns so ein das wir von   14.00 – 18.00 Uhr am KDL standen. In Gedanken sah ich uns noch einmal durch das Kasernentor fahren. Das war nun genau ein Jahr her. Dann war es endlich soweit die Neuen kamen. Kempe, Kuchta und Heininger fuhren die Lkws. Auf jedem waren 20 Springer. Bengert und Meiße öffneten die Tore. Wir verbeugten uns tief als die drei Fahrzeuge das Tor passierten. Die Beiden schmissen es zu, dass es nur so schepperte. Ich schwenkte schon mal mit dem Bandmaß. Mario und Jens beeilten sich es mir gleich zu tun. Ich schaute in die Gesichter der Neuen. Genau wie bei uns, Angst, Neugier und Ungewissheit schaute vom Lkw herunter. Der Rest des Bataillons hing am Fenster und belegte die Springer. Eine Woche ließen wir sie in Ruhe. Das hatten wir mit Chaleri und Co. so vereinbart. Mit Meise ging ich auf das Zimmer der Springer. Da war ich mir sicher, das würde wieder nach Schema F ablaufen, sie würden versuchen sich zu wehren um dann zusammenbrechen. Als erstes stellte ich uns vor und sagte: Das ist Soldat Meißner und ich bin Soldat Müller vom dritten Diensthalbjahr. Ihr habt richtig gehört Soldat und nicht Gefreiter. Meise ergänzte, das haben wir uns schwer verdient, wir sind die einzig wahren E’s. Weshalb wir hier sind fuhr ich fort, könnt ihr euch denken. Wir werden euch jetzt für den Zimmerdienst bei uns einteilen. Da beist die Maus kein Faden ab, das ist so. Wenn das alles funktioniert wird auch keiner schikaniert.  Die Springer rückten näher zusammen, sie scharrten sich um ihren Wortführer. Er war seinen Kameraden körperlich weit überlegen und schien auch sonst so ein recht helles Köpfchen zu sein. Er hieß Sperling. Schon im Vorfeld hatten Meise und ich ihn ausgekuckt. Wenn wir den knacken hatte der Rest verspielt und das war nur eine Frage der Zeit. Sperling sagte mein Vater ist Oberstleutnant auf der Militärakademie in Dresden und ich weiß bescheid, wie das bei der Armee lang  läuft. Wir lassen uns nicht schikanieren und rumkommandieren. Ich sagte zu ihm, es ist schön dass dein Vater Berufsoffizier ist, da muss ich dir ja nicht lange erklären wie es bei der Armee funktioniert. Dein Vater hat dir bestimmt schon einmal erzählt, das es in der Armee genauso wie bei jeder anderen Arbeit eine Hackordnung gibt. Wer sich daran hält ist ein Teil der Gesellschaft, dem wird es seiner Position angemessen gut gehen. Wer dagegen auflumpert, der wird der Außenseiter sein und Spießruten laufen. Es steht jedem frei sich seine Seite auszusuchen. Der Letzte der versucht hat gegen die ungeschriebenen Gesetzte aufzubegehren, hatte einen Vater im Verteidigungsministerium in Berlin. Den haben sie noch während der Ausbildungskompanie versetzt. Zu den Fußlatschern ergänzte ich, obwohl ich es nicht genau wusste. Aber das klang gut, da wollte keiner hin. Außerdem hast du nicht richtig zu gehört, wir wollen niemanden rumkommandieren, wir wollen nur dass ihr die Arbeit macht die wir vor einem Jahr auch machen mussten und du wirst für mein Bett verantwortlich sein. Die übrige Arbeit kennt ihr ja. Ist das klar? Alle nickten, einige verbittert. Mit Meise hatte ich schon abgesprochen wenn wir fürs erste Mal nehmen. Er zeigte auf Krause, er war der Kleinste von ihnen und du kommst auch mit. Beide trabten uns hinterher. Nachdem sie ihre Arbeit verrichtet hatten schoben wir ihnen eine Flasche Bier zu und sprachen mit ihnen ab, wie das Ganze hier so lang zu laufen hat. Zuckerbrot und Peitsche waren immer noch die besten Mittel. Die Springer und allen voran Sperling mochten mich nicht, dafür hatte ich Verständnis. Aber sie hatten Achtung vor mir und machten im Großen und Ganzen ihre Arbeit. Sperling war gelehrig, er ging auch ohne Probleme mit Bier holen. Eines Tages bat ich ihn Bier für unser Zimmer zu holen. Er maulte rum, wegen zwei Teilen laufe ich nicht zum „Einarmigen“.  Erstaunt sah ich ihn an und fragte wie meinst du das? Na vier müssten es schon sein. Ich sagte da nimmst du eben noch einen mit aus deinem Zimmer. Nein meinte er, die trage ich alleine. 80 Flaschen Bier willst du alleine tragen, fragte ich zweifelnd? Kein Problem, sprach er. Ich stellte ihm vier Teile hin und er trabte ab. Eine Stunde später war er wieder da. Sperling war von der Figur her schon ein Hüne aber das hätte ich ihm nicht zugetraut.
Es war schon erstaunlich was manch einer von unserem Diensthalbjahr für eine Entwicklung genommen hatte. Da war z.B. Guido. Er war immer einer von den Ruhigen, der konnte keiner Fliege was zu leide tun. Eines Tages erlebte ich, wie er einen Springer rund machte der aufzuckte. Erst ließ er ihn den Gang kehren und anschließend seine Schuhe putzen. Dabei schimpfte er wie ein Rohrspatz auf den Springer. Überhaupt war Guido zu einen Unikum geworden. Guido war ja kein Deutscher, er war Sorbe. Bis zur vierten Klasse wurden sie zweisprachig unterrichtet. Er hatte eine sorbische Freundin, die schrieb ihm die Briefe auch in sorbischer Sprache. Nur hatte Guido die schriftliche Sprache verlernt. So musste er immer zu seinem sorbischen Kumpel Sebastian auf die erste Kompanie flitzen. Der übersetzte ihn die Briefe ins Deutsche. Dinge gab es im Leben, da konnte man nur staunen. Auch Thomas Kuchta hatte eine bemerkenswerte Entwicklung genommen. Er war wie die Feuerwehr, wenn die Springer versuchten auf zu lumpern. Ich sagte zu ihm, ich kann mich ganz schwach daran erinnern, dass mir mal irgendjemand im ersten Diensthalbjahr eine Abhandlung über die gerechte Behandlung von Springern erzählt hat. Thomas grinste, ich weis nicht was du meinst. Das jede Medaille zwei Seiten hatte, bekam ich auch beim Wache schieben zu spüren. Als ich noch Chef der Feuerwache war hatte mir Oberleutnant Friedrich vom Sanitätsbataillon einmal richtigen Sackgang bereitet. Er war der leitende Offizier der Feuerwache und hatte unsere Einsatzbereitschaft bemängelt. Immer wieder scheuchte er uns mit Feuerhaken und Löschutensilien durch das Kasernengelände und hielt uns Vorträge über die sozialistische Einsatzbereitschaft. Dieser Offizier erdreistete sich mit fünf Reservisten gegen 23.00 Uhr vorm KDL zu erscheinen um mir zu erzählen, sie wären im Gruppenausgang gewesen. Normalerweise interessierten mich solche Dinge nicht aber bei so einem Vogel passte ich genau auf. Am Ende drehte der noch einem einen Strick daraus. Den Ausgangsschein, sagte ich zu ihm. Er versuchte es auf Kumpel, hör mal lass sie rein du weist doch wie das hier lang läuft, bist doch ein EK. Eben drum, den Ausgangsschein. Er hatte keinen, ich ließ den OvD holen. Das war gut so, keine 14 Tage später wurde er strafversetzt. Sie hatten ihn mit 2,1 Promille am Lenkrad erwischt. Der Polizei hatte er erzählt, er wäre im Einsatz und müsste sich umgehend im Bataillon melden. Lügen haben kurze Beine, sein Geschwafel hatten sie schnell durchschaut. Er war schwerer Alkoholiker und nicht mehr in der Lage ohne Teufel Alkohol zu leben. Überhaupt musste ich sagen, Offiziere die bei uns im Objekt arbeiteten aber nicht zum Bataillon gehörten, legten das Prinzip Leben und Leben lassen immer zu ihren Gunsten aus. Am schlimmsten war der Militärstaatsanwalt. Vom Dienstgrad war er ein Oberstleutnant und hatte eine Sonderstellung. Seine Räumlichkeiten waren gesondert gesichert. Da hatte nicht einmal der Batailloner unangemeldet etwas zu suchen. Dieser Schnösel von Offizier war mir zweimal so richtig dumm gekommen. Als er früh 6.00 Uhr zum Dienst erschien, löffelte er mich voll weil ich den Kragenknopf nicht geschlossen hatte. Er hätte es auf die Freundschaftliche machen können aber er zog es vor mich richtig dumm anzumachen. Das zweite Mal war er der Meinung ich hätte seinen Dienstausweis nicht richtig kontrolliert. Er hielt mir einen Vortrag, sein Passbild könnte ja auch gefälscht sein und nur weil ich zu faul wäre seinen Ausweis vorschriftsmäßig zu kontrollieren könnte sich der Klassenfeind in die Kaserne schleichen. Stumm ließ ich die Kritik über mich ergehen, ich wusste ganz genau, irgendwann kriege ich ihn. Was ging nur in solchen kranken Köpfen vor? Eines Tages war es soweit, er hatte seinen Dienstausweis vergessen. Genau wie Oberleutnant Friedrich versuchte er es auf die kumpelhafte Art. Ich sagte zu ihm, Genosse Oberstleutnant ich habe keine Lust bei ihnen vor Gericht erscheinen zu müssen, weil ich den Klassenfeind hereingelassen habe. Also kehrt Marsch, holen sie ihren Ausweis. Er wollte Aufbegehren. Ich sagte zu ihm, muss ich erst den OvD holen? Er trabte ab.

Donnerstag, 1. September 2011

EK

 Die Tage vergingen im Oktober wie im Flug. Am 21.10.1980 feierte ich meinen 21. Geburtstag. Vom Resi mal abgesehen war ich der zweitälteste auf der Stube. Nur Arno war zwei Jahre älter wie ich. Zur Feier des Tages  holte ich im „ Einarmigen“ zwei Teile Bier. Von Vater und Conny bekam ich jeweils ein Paket. Damit hatte sich mein Geburtstag erledigt. Mit dem Bierholen gab es Anfang Oktober ein paar Probleme. Wir hatten Fahrzeugumstellung, diesmal auf  Winterbetrieb. Für diese Zeit hatte der Batailloner Reservisten von den Motschützen geordert. Als wir unsere Springer nach Bier schickten machten die Späne und wollten sie nicht rauslassen. Bengert, Meise und ich tobten nach unten zu dem Posten. Mario fragte warum lässt du unsere Springer nicht Bier holen? Das wisst ihr ganz genau, rief er und brachte sein Gewehr in Anschlag. Mario lachte und stellte sich vor die Mündung und sagte schieß doch du Weichei. Der Soldat fing an zu jammern, hört auf ich habe Frau und Kinder. Wenn ich jemanden erschießen muss wie soll ich damit Leben. Ich sagte zu ihm, du weißt schon die Schusswaffe ist die höchste und letzte Form der Gewaltanwendung und nur weil wir Bier holen wollen kannst du niemand erschießen. Meise sagte beruhig dich erst einmal, bei uns ist das so, wenn die Wache wegsieht bekommt sie zwei Flaschen Bier und weil du ein Lieber bist bekommst du vier. Wenn sie unsere Leute mit dem Bier erwischen, warst du gerade am anderen Ende das Postenweges. Nach kurzem Überlegen willigte er ein. Das sprach sich bei den Motschützen schnell rum und es gab keinen Ärger mehr.
Einige von meinen Kameraden waren im Erholungsurlaub gewesen. Arno kam aus dem Urlaub nicht wieder, keiner wusste was. Nach vier Tagen kam ein Lebenszeichen von ihm, er lag im Krankenhaus. Als er dann wieder in der Kaserne erschien fehlten ihm die oberen Schneidezähne. Das sah schon ganz schön brutal aus. Es sollten noch ein paar Wochen ins Land gehen bis sie ersetzt wurden. Arno war auf der Landstraße mit seinem Moped unterwegs gewesen, hinter einem Laster. Dieser war mit Zwillingsreifen ausgestattet. Zwischen diesen hatte sich ein Stein verklemmt, der sich irgendwann löste. Das passierte genau in dem Moment als Arno hinter diesem herfuhr. Der Stein traf ihn mitten im Gesicht. Kurz nach diesem Unfall bekam Arno von seinem Bruder Besuch. Zufälliger Weise liefen mir beide über den Weg. Wir setzten uns auf eine Bank im Kasernengelände und genossen die letzte Sommerwärme. Arnos Bruder hieß Arnold und hatte genauso wie er beruflich mit der Fernsehtechnik zu tun. Wir unterhielten uns über das Westfernsehen. Arnold meinte in ungefähr 10 Jahren sind die mit ihrer Technik soweit, das man mit Hilfe der Satellitentechnik in die ganze Welt senden kann. Skeptisch fragte ich, wie soll denn das Funktionieren. Er erklärte mir, dass von der Erde Signale in den Weltraum gesendet werden. Diese würden dann von dem Satelliten aufgefangen und weitergeleitet. Mit einer Antenne die ähnlich wie eine Radarschüssel aussieht kann man die Signale empfangen. Mit anderen Worten du meinst wir könnten dann auch im Raum Dresden Westfernsehen schauen. Arnold nickte, zumindest theoretisch, da brauchst du schon einige Technik und ob diese in der DDR verfügbar wäre, müsste man sehen. In Gedanken sah ich mich schon Westfernsehen schauen. Auf das was man nicht hatte war man besonders scharf. So etwas lag nun mal in der menschlichen Natur. 
Auf der Kompanie gab es bei den Sattelfahrern zwei Springer, diese fielen mir durch ihr Wesen besonders auf. Sie hießen Rosenbaum und Ziege. Beide kannten sich schon vor der Armeezeit und machten in ihrer Freizeit gemeinsam Musik. Sie hatten in ihrem Charakter etwas Aufmüpfiges. Nicht gegen die EK – Bewegung, da ließen die EK’s und Viezen keine Luft ran. Im Gegensatz zu den Tankerfahrern zogen bei den Sattelfahrern alle an einem Strang. Bei uns auf der Stube lag das meistens in Meises und meiner Hand. Aber gegen die Offiziere da waren die Beiden für ihr Diensthalbjahr ungewöhnlich aggressiv. Ich unterhielt mich hin und wieder mit ihnen, vor allem mit Ziege. Eines Tages fragte er mich ob ich das Buch von Eberhard Panitz  kennen würde, Gesichter Vietnams. Ich verneinte und fragte, was ist mit dem Buch? Solltest du mal lesen, da ist eine Abhandlung über My Lai drinnen, da würde mich mal deine Meinung interessieren. Ich hakte nach, du meinst das Kriegsverbrechen in Vietnam mit dem Calley. Genau dieses, antwortete er. Ich nahm mir vor im nächsten Urlaub kaufst du dir das Buch. Urlaub war das Stichwort meinen EU für das zweite Diensthalbjahr musste und wollte ich noch nehmen. Ich fuhr zu Conny und Thomas nach Heidenau. Conny meinte Thomas ist nachts ein ganz schöner Schreihals, man kommt kaum zum Schlafen. Conny selber machte einen relativ aufgeräumten Eindruck.  Die Nachwehen der Geburt schienen langsam zu verblassen. Ich raffte mich auf und ging zur Betriebsgewerkschaftsleitung ( BGL ) und bat um Unterstützung bei der Wohnungssuche. Man versprach mir, nach Beendigung des Wehrdienstes, mich bei der Suche zu unterstützen. Der Betrieb hätte schon einen gewissen Einfluss bei der Vergabe von Wohnungen in und um Dohna. Einen Tag verbrachte ich mit Becki, Roland und Hüni. Es tat mir persönlich gut solche Freunde zu haben, wo man sich ausheulen konnte und die auch mal zuhörten. Viel zu schnell war der Urlaub wieder um. Diesmal nahm ich einen Zug eher nach Erfurt um mir den Ärger mit der Militärpolizei zu ersparen. Vor Reiseantritt kaufte ich mir im Zeitungskiosk das Buch von Panitz. Um mir die lange Weile zu vertreiben, lief ich durch den Zug. Die Mitropa hatte einen kleinen Verkaufsstand eingerichtet. Ich schaute schon einmal was für Bier die hatten. Wenn es Gutes war würde ich auf dem Rückweg mir zwei Flaschen mitnehmen. Beim Einsteigen hatte ich es schon gesehen. Die Bundesbahn hatte zwei Kurswagen anhängen lassen. Gemütlich bummelte ich durch die beiden Hänger. Auf einmal blieb ich verwundert stehen. Die DSG hatte ebenfalls einen kleinen Verkaufsstand und was es da alles gab, es war unglaublich. Sprenglerschokolade, Toblerone, Getränke in Büchsen, Bier und Limonade und noch vieles Andere aus der BRD. Verwundert fragte ich den Verkäufer und das verkaufen sie hier für DM. Nein, meinte er, wir nehmen immer die einheimische Währung. Fassungslos schaute ich ihn an, das ist doch nicht ihr Ernst? Aber selbstverständlich gab er halb beleidigt zurück. Ich erkundigte mich nach den Preisen. Die waren ähnlich wie die der Mitropa. Ich hatte noch nie Bier und Limonade aus Büchsen getrunken. Ich kaufte fünf Büchsen Dortmunder Union, zwei Büchsen Coca Cola und zwei Büchsen Sprite. Das verpackte er mir alles noch in einen schicken Plastikbeutel. Stolz wie Graf  Koks marschierte ich von dannen und konnte es immer noch gar nicht fassen. Eine Büchse Bier wollte ich gleich trinken und den Rest mit meinen Kameraden teilen. Das Ergebnis wirkte ernüchternd, das Bier schmeckte nach Büchse und wurde auch nur mit Wasser gebraut. Was hatte ich eigentlich erwartet? So richtig war ich mir darüber selber nicht im Klaren. Es gab auch wichtigeres im Leben. Aber es kam aus dem Westen und nur das zählte. Am nächsten Tag testeten meine Kameraden die Getränke. Bei der Coca Cola kamen wir mehrheitlich zum Schluss der Vita Kola von uns kann sie das Wasser nicht reichen. Die Sprite wäre dem Margonwasser sehr ähnlich und genauso gut. Beim Bier fehlten uns die Vergleichsmöglichkeiten. Die Dose schmeckte deutlich hervor. Dosenbier gab es bei uns keines. Das Dortmunder Union müsste man mal aus der Flasche trinken, da hätte man einen reellen Vergleich.
Wenn ich Zeit hatte setzte ich mich hin und las das Buch, Gesichter Vietnams. Es enthielt verschiedene Abhandlungen. Unter anderen von einem ehemaligen Fremdenlegionär der in Dresden geboren wurde. Der Artikel über My Lai erschütterte mich. Hinter dem Leutnant Calley versteckten sich höhere Offiziere die auf einmal an Gedächtnisschwund litten. Frauen und Kinder erschießen war die eine Seite, aber der Vietcong die Andere. Der Vietcong war keine reguläre Armee und viel somit auch nicht unter die Genfer Konvention. Das die Frauen und Kinder für ihre Ziele missbrauchten war auch ein Verbrechen. Ich unterhielt mich mit Ziege darüber. Einig waren wir uns darüber das die USA der Aggressor war. Was da passiert ist, war eine unglaubliche Schweinerei. Die hatten in Vietnam nichts zu suchen, die USA müsste als Land vor Gericht stehen. Den Calley vors Loch zu schieben war für sie das Einfachste, machte das Geschehene aber nicht besser. Was Ziege und mich beschäftigte war die Frage, was passiert wenn mir nach Polen einrücken müssten. Genfer Konvention was besagte die eigentlich, im Politunterricht ist sie noch nicht einmal erwähnt wurden. Auch wenn ich da immer schlief, wäre das auf den Stuben ein Gesprächthema gewesen. Was würde ich machen, wenn ich in so eine Situation kommen würde? Ich verbannte die Gedanken in die hinterste Ecke der Welt. Ich wollte gesund und munter von der Armee nach Hause kommen, das stand für mich im Fordergrund. Da half die erste Lektion die ich bei der Armee gelernt hatte, niemals freiwillig melden.
Am 30.10. wurden die Resis und E’s entlassen. Jetzt waren wir die Alten und feierten uns selbst, wie wild schwenkten wir unsere Maßbänder und sangen unser EK – Lied. Einen Tag später erfolgte die Beförderung zum Gefreiten. Laut und deutlich ertönte der Dank des Beförderten, ich diene der Deutschen Demokratischen Republik. Mir blieb dieser Spruch erspart. Roos meinte die Nichtbeförderten sollten einmal darüber nachdenken warum sie nicht beförderten wurden. Insgesamt waren es drei Mann die es betraf, Mario Bengert, Jens Meißner und mich. Bei allen dreien rief die Nichtbeförderung unterschiedliche Reaktionen aus. Mario war richtig enttäuscht und sagte ich versteh das gar nicht. Wirklich, fragte ich Mario? Mario wurde aggressiv, du willst es mir doch nicht etwa sagen. Doch Mario, antwortete ich. Du hast den Tankhänger umgekippt. Mit der Nichternennung zum Gefreiten bist du doch gut davon gekommen. Mario schäumte, wie oft soll ich es dir noch sagen, ich war nicht schuld. Die Feder war gebrochen. Ich schüttelte den Kopf, du weist es besser und ließ ihn stehen. Meise wurde nachdenklich und meinte, da sieht es nicht gut aus für meine christliche Seefahrt. Wenn ich nicht befördert werde, kann ich das knicken. Ulf schleimte ich verstehe das gar nicht, dass sie dich nicht befördert haben. Ach nein sagte ich angefressen zu Uschi, wer hat sich den immer hinter Meise und mir versteckt, wenn es darum ging die Springer auf Vordermann zu bringen. Ihr alle hier! Bei den Sattelschleppern gab es so was nicht. Es wurde ruhig auf dem Zimmer. Keiner sagte etwas, ich dafür umso mehr.  Rudi gehst du die neuen Springer aufs Zimmer holen. Er schaute mich nur an und schüttelte den Kopf. Ist auch nicht weiter schlimm, aber hört auf so rum zu schleimen. Ich war stolz darauf nicht befördert wurden zu sein und sagte ein Teil Bier heute Abend bezahle ich. Die peinliche Stille löste sich. Ich ging zu meinem Spind und diesmal knickte ich meine Schulterstücke selber und zwar längst. Jeder hatte eben seinen eigenen Stolz und das war meiner!!!