Dienstag, 30. August 2011

Der Ural

Das Leben in der Kaserne wurde durch die Polenkrise immer unruhiger. Meise und Dietmar rückten zu einer Kommandostabsübung aus. Gott sei Dank betraf das von unserer Kompanie nicht allzu viel Soldaten. Von den Sattelschleppern rückten auch noch einige aus. Die Übung fand auf dem Truppenübungsplatz in Nochten statt. Das war einer der größten Übungsplätze in der DDR. Es war auch Derjenige der am Nächsten zu Polen lag. Die DDR war ja nicht allzu groß, viele Möglichkeiten gab es keine um solche Plätze anzulegen. Den in Nochten hatten die Russen 1945 nach Beendigung des Krieges eingerichtet. Die NVA hatte ihn dann irgendwann nach ihrer Gründung übernommen. Der zog sich ungefähr bis 5 Kilometer an die polnische Grenze heran. Den Grenzverlauf zu Polen bestimmte die Neiße. Die Neiße entsprang im Isergebirge nahe der Stadt Jablonec ( Gablonz ). Nach wenigen Kilometern und einiger kleiner Stauseen erreichte sie Polen, um ab Zittau den Grenzverlauf zu bilden.  Ungefähr10 Kilometer hinter Guben mündete sie in die Oder. Viele Dörfer und Städte waren zweigeteilt. Meistens lagen der größere Teil der Ortschaften auf deutscher Seite. Genau genommen  gehörte die Region des Bezirkes Dresden zu Mitteldeutschland. Aber mit Beendigung des zweiten Weltkrieges wurde Deutschland geteilt und Schlesien kam zu  Polen. Aus diesem Grund sprach  der Volksmund von Ostdeutschland ( DDR ) und Westdeutschland ( BRD ). Das sich die Russen die Gegend um Nochten als Übungsplatz ausgesucht hatten, lag wahrscheinlich an der Landschaft. Riesige Kiefernwälder und Sandböden prägten die Region, wie in der Taiga. Unterbrochen wurde die Einöde durch große Braunkohletagebaue. An dem Tag als Meise und Dietmar nach Nochten ausrückten, wurde ein Ural mit Kastenaufbau in die Kaserne geschleppt. Er war von irgendeiner Thüringer Truppe die mit zu dieser Kommandostabsübung sollte. Um den Lkw reparieren zu können, musste der KFZ - Schlosser in den Kastenaufbau. Als er ihn öffnete kam es zum Eklat. Der Ural war vollgestopft mit Särgen. Schleunigst berief Zirl einen Bataillonsappell ein um die Situation zu beruhigen. Er argumentierte dass es in allen Bereichen des täglichen Lebens zu tödlichen Unfällen kommt. Niemand nehme daran Anstoß, außer den unmittelbar betroffenen Angehörigen. Genauso wäre es bei der Armee. Durch den Gebrauch von Schusswaffen und einer besonders hohen Konzentration von Menschen und Material sei die Gefahr nun einmal gegeben das es zu einer erhöhten Anzahl von Unfällen bei Übungen kommen kann aber nicht zwangläufig muss. Für den Fall der Fälle verlangt es der menschliche Anstand und die Pietät das entsprechende Utensilien bereit stehen und ständen. Das klang alles logisch und genau genommen wusste jeder von uns,  der Oswin lauert über all. Nur war es immer etwas anderes, wenn man näher damit konfrontiert wurde. Im Gegensatz zu den Sattelschleppern waren Meise und Dietmar relativ schnell von der Übung wieder zurück. Bei der Übung gingen die Wälder um den Schießplatz in Flammen auf. Es war ja auch relativ Trocken und warm in den letzten Wochen gewesen. Schnell mussten die Beiden ihren Diesel an die kleineren und wendigeren Uraltanker abgeben und die Gefahrenzone verlassen. Meise erzählte die Mucker schliefen in Erdlöschern während der Übung. Auch sie sollten das und hatten sich eine Erdmulde gebuddelt. Wären aber Abends in ihre Lkws geschlichen. Das Essen war erstaunlich gut gewesen. Bei den Panzerfahrern des  4. Panzerregimentes kocht ein Fähnrich und der hätte richtige Ahnung, der würde aus Kienäppeln noch etwas zaubern.
Aber auch für die Offiziere wurde es während der Polenkrise  ungemütlicher. Es wurden immer öfters Schießübungen angesetzt. Der Pistolenschießplatz befand sich auf unserem Kassernengelände gleich neben der Kompanie. Die Offiziere suchten auf freiwilliger Basis Soldaten, die die Schießscheiben wechselten. Von unserer Stube war Mario wie das Messer, wenn es ums Schießen ging. Da war er so etwas von geil drauf, es war einfach unglaublich. Er spekulierte darauf auch einmal mit der Pistole schießen zu dürfen. Mit der Spekulation  lag er genau richtig. Die Buckels suchten ein paar Dumme die ihre Pistolen putzten und das machte derjenige der mit der Pistole zuletzt schoß. Logischer Weise waren das immer die Soldaten. War eine Schießübung für Offiziere angesetzt, Mario meldete sich immer freiwillig. Es störte ihn überhaupt nicht, das er sich zum Handlanger der Offiziere machte. Auch als es um das Schießen für die Schützenschnur ging, war Mario in der ersten Reihe. Stolz heftete er sich die Affenschaukel an die Jacke. Für diesen Unsinn hatte ich nur ein müdes Lächeln übrig.
Roos hatte mal wieder OvD. Da war wieder richtig Sackgang angesagt. Ich wollte eigentlich in den Ausgang. Der verzögerte sich gewaltig. Roos machte die Wachablösung nach Dienstvorschrift, das behauptete er zu mindesten. Ich hatte eher den Eindruck es war seine persönliche Dienstvorschrift, die da zur Anwendung kam. Die zweite Kompanie sollte die Dritte ablösen. Roos hatte alles zu bemängeln, das fing bei der Kleiderordnung an und endete bei der Reinigung des Wachlokales. Was gewöhnlich eine halbe Stunde dauerte, dauerte zwei Stunden. In dieser Zeit ließ Roos niemand in den Ausgang. Zu guter Letzt verlangte Roos den Wachaufzug mit Marschgesang. Den Gefallen tat die zweite Kompanie Roos gerne. Sie sangen das EK – Lied. Heinz Roos, Heinz Roos bald sind wir dich nun los, dann kannst du wieder striezen, die Springer und die Viezen. Roos lachte böse, mir war schon klar er würde aller zwei Stunden den Wachwechsel persönlich kontrollieren. Hier zeigte sich die ganze Kameradschaft die unter uns Soldaten herrschte. Weder die Soldaten der Zweiten noch wir der Dritte machten untereinander Stress wegen der Blödheit der Offiziere. Da war eher ein Bedauern das man solchen Idioten ausgesetzt war.  So begann unser Ausgang mit Verspätung. Ich hatte diesmal Glück gehabt das Luderer mir den Ausgang nicht gestrichen hatte. Vielleicht  lag es auch daran, dass ich in das Ausgangsbuch nur meinen Familiennamen geschrieben hatte. Es gab ja noch mehr Müllers. Kaum waren wir in der Innenstadt angelangt lief uns die Militärstreife über den Weg. Sie ließ uns in Ruhe. Aber das wirklich interessante waren die Wachsoldaten die den Offizier bekleideten. Einer von ihnen war Lutz Scheunert, den hatten sie ja Ende des ersten Diensthalbjahres von unserem Bataillon in den Divisionsstab versetzt. Da hatte dieser Schleimbeutel ja die richtige Tätigkeit. Er grüßte zu uns rüber, keiner von uns grüßte zurück. Wir fühlten uns unangenehm berührt von dieser Begegnung. Hoffentlich begegnet der mir mal nicht auf einer Fahrt Richtung Heimat. Ich hatte einmal während des Urlaubs Hüni von diesem Menschen erzählt. Hüni fragte wie heißt der? Lutz Scheunert, wiederholte ich.  Mit dem Rindvieh habe ich gelernt sagte Hüni, ein übler Bursche, er war der Zuträger beim Lehrmeister. Einmal ist dem ein Hammer ins Gesicht gefallen, da konnte er sein Zähne neben dem Amboss aufsammeln. Aber sein Vater war ja Zahnarzt, der hat ihm eine schöne Prothese gebastelt. Manchmal trifft es eben doch die Richtigen.

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