Montag, 4. Juli 2011

Weihnachten


Der Dezember ging im Eiltempo auf  die Feiertage zu. Der Stubenälteste war der Meinung vor Weihnachten muss die Stube besonders glänzen. Das hieß für uns am späten Samstagvormittag Betten und Spinde aus dem Zimmer räumen und dann wurde das Linoleum mit Wachsentferner bearbeitet. Was an Dreck und Schmutz nicht ab ging wurde mit der Rasierklinge runtergekratzt. Ein Schweineschund war diese Arbeit. Im Anschluss wurde der Belag neu gebohnert und gekeult bis er richtig glänzte. Zum Schluss räumten wir die Spinde und Betten wieder ins Zimmer. Ich sagte zum Gefreiten Caspar, na Tri Tra Tralla zufrieden. Der meinte, Müller du bist so herrlich frech, da möchte ich doch glatt mal wieder das Kronentor sehen. Also machte ich mich ans Fensterputzen. Mich störte es nicht im Gegenteil, ich war richtig gut drauf und sagte zu ihm, du Tri tra Tralla wenn du ein Teil Bier bezahlst, gehe ich es holen. Gefreiter Caspar sagte, eigentlich müsste ich dir nur in den Arsch treten, aber der Vorschlag ist nicht schlecht. Unter mir schlief im Doppelstockbett der Gefreite Reifke, der meinte Müller da bringst du noch ein zweites Teil mit, das bezahle ich. Andreas und Thomas wollten da mitkommen. Die Vizes kratzen ihr Geld zusammen und so kamen noch einmal zwei Teile hinzu. Ich wusste ja wo die leeren Teile versteckt waren und so zogen wir los. Eine knappe Stunde später waren wir wieder da. Die E´s und die Zwischenschweine waren in dem Fernsehraum verschwunden. Dem ersten Diensthalbjahr war es in unserer Kaserne verboten Fernsehen zu schauen, eines der vielen ungeschriebenen Gesetzte der  EK – Bewegung. Die Offiziere duldeten dies ganz bewusst, denn sie waren ganz genau der Meinung der E`s, Ordnung geht vor Freizeit. Und für die Ordnung war nun mal das erste Diensthalbjahr zuständig. Wenn ich da an das dumme Gerede  von dem fetten Major Schmalz dachte, da wurde einem ganz übel, es gibt keine EK – Bewegung, das ich nicht lache. Also machten wir das Beste aus dem Samstagabend und öffneten erst einmal eine Flasche Bier. Bis die E`s und Zwischenschweine aus dem Fernsehraum kamen hatten wir schon einige Flaschen gelehrt. Die fanden es gar nicht lustig aber was wollten sie machen. 14 Tage vor Weihnachten wurde auch ein Urlaubsplan erstellt. Als erstes mussten wir den E fragen, ob er nichts dagegen hat. Gefreiter Caspar meinte wenn ihr das so regelt, dass immer einer über Weihnachten – Silvester da ist, stört es mich nicht. Andreas wollte unbedingt über Weihnachten, mir war es egal. Thomas und ich einigten uns nach kurzer Diskussion. Ich reichte mein Urlaubsgesuch über Silvester und Thomas seins zwischen den Feiertagen ein. Wir drei hatten Glück uns wurde es genehmigt. Bis auf  Soldat Winkler bekamen alle aus unserem Zimmer über die Feiertage Urlaub bewilligt. Ich sagte zu Winkler, da hasst du als einziger von uns Pech, schade. Er lachte und meinte er hätte gar kein Urlaub eingereicht. Erstaunt sah ich ihn an.  Er sagte das ist für mich wirklich kein Problem, ich habe eine Freundin in Erfurt und werde mich von meiner Freundin in Dresden trennen. In der Zwischenzeit hatten wir mit der Ausbildung zum Militärkraftfahrer begonnen. Abwechselnd hatten wir Theorie und Praxis. Es hieß wer die Prüfungen nicht besteht wird zu den Muckern versetzt. Egal war mir das nicht, wer wollte schon zu den Fußlatschern. Dementsprechend aufgeregt waren wir. Die theoretische Ausbildung übernahmen die Zugführer und Fahrlehrer machten die E’s die eine Pritsche fuhren. Fahrschulausbildung in der Stadt mit den Tankern war verboten. Die Theorie schlauchte ganz schön, aber jeder passte auf, denn bestehen wollten wir sie alle. Eine interessante Abwechslung während der Schule bot das Feld neben der Kaserne. Es war riesig, die E`s hatten erzählt im Sommer bauen sie hier Blumenkohl an. Das wäre eine interessante Nahrungsergänzung. Ich wusste schon was sie damit meinten. Jedenfalls fanden den Blumenkohl auch die Hasen toll und so veranstalteten die Jäger im Winter eine große Jagd mit Hunden. Diese scheuchten die Hasen in ihren Bauen auf und die Jäger brannten ihnen eins auf den Pelz. Wenn sie getroffen wurden, schlugen sie mehrere Purzelbäume und die Hunde schafften stolz die Jagdtrophäe zum Herrchen. Selbst Zapfenludi konnte sich dem Reiz der Jagd nicht entziehen und schaute immer wieder mal zum Fenster raus. Zwei Stunden ging das so, bis zum großen Hahali geblasen wurde. Eine Woche bevor die ersten in den Urlaub durften, war die Theorieprüfung. Bis auf Thomas Kuchta verrasselten alle die Prüfung. Gefreiter Caspar sagte zu Andreas und mir, ich habe die Antwortschablonen da, wenn ihr sie haben wollt, lasst Euch was einfallen. Wie wäre es denn mit zwei Teilen Bier, fragte ich, Caspar nickte. Die nächste Prüfung bestanden wir. Die praktische Fahrschule war viel interessanter, was da so für ein Mist verbockt wurde, es war unglaublich. Ich fuhr einmal über die Ampel als sie gerade auf rot schaltete, Gefreiter Reifke kippte vor entsetzen bald aus den Latschen. Er meinte du passt genau zu dem Tatra den du einmal übernehmen sollst. Ich fragte was ist mit dem? Dein Vorgänger ist mit dem einmal über seine Kalaschnikow gefahren, der Lauf musste gewechselt werden und zur Krönung des Ganzen, hatte er mit dem Hänger eine Telefonzelle weg rasiert und dass brisante war, es stand noch einer in der Zelle. Ich musste lachen und wollte wissen, was noch so alles während seiner Dienstzeit passiert war. Einmal sagte er, war bei einer Fahrübung der 2. Kompanie ein Sattelzug am Schmittstädter Knoten umgekippt, genau über dem Fußgängertunnel. Die ganze Panzermunition ist in den Tunnel gefallen. Wie durch ein Wunder ist nichts passiert. Jedenfalls musste ich für das Überfahren der Ampel bei Rot am Abend Fenster putzen. Das Überfahren bei Rot war noch eines der harmloseren Vorkommnisse. Uffz. Kippenhahn war ebenfalls Fahrausbilder. Er lotste seinen Lkw samt Fahrschüler und Hänger in eine ganz schmale Sackgasse, wenden war unmöglich. So fuhr er mit dem Lkw quer über den Erfurter Anger der Fußgängerpassage. Am nächsten Tag wollte er mit dem Lkw einen Bahnübergang queren. Vorschriftsmäßig hielt der Fahrschüler vor der Schranke. Beim Anfahren verreckte der Motor, er sprang nicht sofort an. In zwischen näherte sich ein Zug, die Schranken gingen nach unten, genau zwischen Fahrzeug und Hänger. Voller entsetzten Sprangen der Fahrschüler und Uffz. Kippenhahn aus dem Fahrzeug. Das Glück war ihnen holt, der Zug kam von der anderen Seite. Am nächsten Tag sollten die ersten über Weihnachten nach Hause fahren. Die Urlaubsvorbereitungen liefen auf Hochtouren, Bügeln, Schuhe putzen, Knöpfe an Hemd, Jacke, Hose überprüfen und den Spind auf Vordermann bringen. Die abendlichen Stubenkontrollen gab es schon lange nicht mehr. Die E`s hätten die Uffze. in den Hintern getreten. Aber vor dem Urlaub kam wenn man Pech hatte, der Major persönlich kontrollieren.  Wie sollte es anders sein, am Tag des Urlaubs  machte der Major wirklich Stress. Er kannte den wunden Punkt eines Soldaten der in den Urlaub wollte.Voller Bosheit und Tücke  ließ er sich unendlich viel Zeit. Am 23.12.1979, 18.00 Uhr nach Dienstschluss hätte der erste Teil in den Urlaub verschwinden können und sie hätten den Zug 18.45 Uhr nach Leipzig bekommen. Mit seiner Kontrolle sorgte er dafür, dass die ersten gegen 19.00 Uhr aus der Kaserne kamen. Der nächste Zug fuhr gegen halb neun. Er belehrte uns, das für die dritte Kompanie alle internationalen Züge verboten sind. Das wäre in jedem Urlaubsschein nachzulesen. Vize Winkler meinte, da hält sich sowieso keiner daran, das ist nur Schikane vom Major. Auf dem Zimmer wurde es ruhiger, drei Mann waren im Urlaub. Weihnachten, es wurde für die Soldaten auf der Kompanie eine kleine Weihnachtsfeier veranstaltet. Zapfenludi war für die Feier verantwortlich, die  E`s gestatteten über die Feiertage das Fernsehschauen. Die Feierlichkeiten fanden sowieso im Fernsehraum statt. Los ging es mit dem Kaffeetrinken. Wir sangen stille Nacht, heilige Nacht mir wurde ganz feierlich zumute und bekam einen dicken Klos im Hals. Ich musste an Conny denken, wie sie so ihr Weihnachten verbringen würde. Ich versuchte eigentlich immer zwei bis drei Briefe in der Woche an sie zu schreiben, wenn es denn die Zeit zuließ. Ich schüttelte die sentimentale Stimmung ab und hielt mich an den Stollen. Der Thüringer war ein furchtbares Zeug, der war so etwas von trocken. Gerade wir Dresdner hatten von unseren Verwanden den echten Dresdner Christstollen geschickt bekommen. Ganze drei Stück hatte ich im Spind liegen. So hatten wir wenigstens was zu schimpfen und zu meckern und man musste nicht an zu Hause denken. Im Vorfeld der Feiertage hatten wir uns reichlich mit Bier eingedeckt. Wir versteckten es in den Spinden der Kameraden die im Urlaub waren. Diese durften selbst die Offiziere nicht so ohne weiteres kontrollieren. Da musste schon konkret etwas vorgefallen sein. Jedenfalls ließen wir Weihnachten ganz gemütlich bei einem Bier ausklingen. Die Feiertage verliefen ruhig, ich hörte viel Radio. Das war auch so eine Sache. Wenn jemand sein Kofferradio mitbringen wollte musste er das beim Kompaniechef beantragen und es durfte nicht mit Batterie betrieben werden. Auf dem Radio mussten die DDR Sender gekennzeichnet werden, die Sender aus dem Westteil Deutschlands zu hören war uns verboten. Aber daran hielt sich sowieso keiner. In Erfurt konnten wir die Sender ja auf Ukw empfangen, was in Dresden nicht möglich war. Erwischte ein Offizier einen beim Westradiohören konnte er das Radio einziehen. Verboten waren kleine Kofferradios, die man in der Hosentasche hätte verschwinden lassen können. Wir bezeichneten diese als Wachradios. Wache stehen war stumpfsinnig. Um sich die Zeit zu vertreiben hörten die Soldaten heimlich Radio mittels dieser kleinen Empfänger. Am 27. 12. spät nachts kam Andreas wieder aus dem Urlaub. Am nächsten Morgen wirkte er angeschlagen. Ich fragte ihn, was los ist. Nichts meinte er verknatzt. Am Vormittag kam er dann raus mit der Sprache, seine Freundin machte ihm Sorgen. Sie wüsste nicht ob sie es schafft die 1 ½ Jahre auf ihn zu warten. Das war ein schwieriges Thema, viele Beziehungen gingen während der Armeezeit kaputt. Ich versuchte ihm Mut zu machen. Andreas beruhigte sich so schnell nicht. Ich weis nicht was ich mache wenn sie mich im Stich lässt, vielleicht jage ich mir eine Kugel in den Kopf. Ich erschrak und sagte zu ihm, das ist keine Frau der Welt wert dass man sein Leben für so etwas opfert. Du lebst nur einmal. Er wollte mit mir darüber reden. Darüber gab es nichts zu reden, das war einfach so und das machte ich ihm klar. Langsam beruhigte er sich wieder. Am Nachmittag machte Thomas sich fertig für den Urlaub. Die Freude spiegelte sich in seinem Gesicht wider. Wir hatten zwischen Weihnachten und Neujahr noch Fahrübungen zu absolvieren. Gefreiter Reifke meinte er müsse unbedingt noch Schnaps für Silvester kaufen, da wollten die E`s gewaltig einen drauf machen und das nach Hause gehen üben. Ich musste lachen und fragte ihn, was das werden soll. Er meinte Mitternacht gehen die E`s auf den Hof und ziehen um den Exerzierplatz und singen angemessene Lieder, natürlich nur wer noch singen und laufen kann. Bloß gut dass ich da im Urlaub war, das roch auf alle Fälle nach Sackgang. Am 30. 12. wurde die Feuerwache verstärkt. Sie hatten jetzt nach Dienstschluss aller zwei Stunden den Fahrzeugpark zu kontrollieren. Das machte Sinn, denn schließlich standen da 30 Tanker zu je 22000 Litern Sprit, 30 Pritschen, geladen mit Schmier und Treibstoffen, sowie 60 Sattelschlepper mit Panzermunition. Wenn da was passierte flog halb Erfurt in die Luft. Eigentlich war es Wahnsinn so etwas in einer Großstadt zu stationieren. Wenn das die Erfurter wüssten. Dann war es so weit 31.12.1979 mein erster Urlaub. Nach Dienstschluss durften wir in den Urlaub. Dienstschluss war ab 12.00 Uhr Mittag. Silvester zählte nur als halber Arbeitstag. Endlich, endlich war es soweit. Mit mir im Abteil fuhren Scholz Frank, Steiger Andreas und Meißner Jens von den Tankerfahrern. Den weitesten Weg nach Hause hatte Frank, er musste fast bis nach Görlitz an der polnischen Grenze. Er kam aus dem kleinen Ort Klitten. 16.00 Uhr stand ich auf dem Dresdner Hauptbahnhof, Conny wartete bei Vater, es waren nur wenige Meter bis nach Hause.



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