Montag, 18. Juli 2011

Warten

Die meiste Zeit seines Lebens wartet der Soldat vergebens. Den Spruch kannte ich schon von meinem Vater her. Dieser Spruch war weise, nicht etwa weil er von meinem Vater stammte,sondern weil er stimmte. Auf was wir so alles warten mussten, das kam aber auch weil alles reglementiert war. Das fing schon beim Frühsport an, ehe der letzte Soldat herausgetreten war, verging auch seine Zeit. Zum Frühsport allerdings brauchten wir kaum noch gehen, seit dem wir nicht mehr in der A – Kompanie waren. Dafür rückte die Stubenordnung in den Vordergrund. Schließlich mussten wir Springer ja nun die Arbeit für die ganze Stube machen. Nur wenn der Major OvD hatte oder er sich vor Dienstantritt in die Kompanie verirrte mussten alle zum Frühsport antreten, auch die E`s und Unteroffiziere. Schon immer eine Ausnahme bildete der Samstag. An diesem Tag wurden statt des Frühsports die Betten und Schwarzdecken ausgeschüttelt. Das war in der A – Kompanie schon so.
Ansonsten wartete man auf den Unteroffizier, aufs Essen, auf die Pausen, auf den Kompaniechef, eigentlich wartete man den ganzen Tag. Es galt sich Abwechslung vom Warten zu schaffen, es galt den Geist zu schärfen. Da aber der ganze Tag fast durchgängig reglementiert war, konnte dies nur bedeuten, Widerstand zu entwickeln, das schärfte wirklich den Geist. Aus diesem Grund waren die meisten Soldaten widerspenstig. Wer nicht widerspenstig war verlumperte. Bestes Beispiel im Zirkus Benz , so nannten wir unser Bataillon, dafür war Zapfenludi oder Hauptmann Wezel ( VW ) der Politoffizier. Dem muss man allerdings zugute halten, dass er von Haus aus naiv und dummgutmütig war. An einem Beispiel erläutert: VW hatte einen Dienstweg außerhalb der Kaserne zu erledigen. Ihm stand ein Dienstwagen, sprich UAZ ( Jeep ) zu. Der Fahrer wollte ihn starten. Nur wollte das Fahrzeug nicht wie die Beiden wollten, es sprang nicht an. Da VW gutmütig war organisierte er das Fahrzeug zum anschleppen selber, anstatt den Fahrer los zu jagen. Natürlich hängte er auch das Abschleppseil persönlich in die Öse und gab das Zeichen zum Anfahren. Im Überschwang dessen etwas Positives geleistet zu haben, hatte er vergessen seine Hand vorher aus der Öse zu nehmen. Das Resultat: Das nächste viertel Jahr war Gips befohlen. Aber er war stolz darauf, dass das Fahrzeug angesprungen war, Dank seines patriotischen Einsatzes. Was ich VW immer zu gute hielt, er traktierte uns kaum mit Politschulung, nur wenn der Major darauf bestand.
Selbstverständlich wartete man auch auf Post, Nachricht von der Außenwelt. Einmal am Tag war Postausgabe. Meistens machte das ein Unteroffizier. Soldaten wurden zu Kindern. Nach bangen Warten, mit leuchtenden Augen nahmen sie ihre Post entgegen. Enttäuscht waren die, die keine bekamen und sie hofften auf den nächsten Tag. Manchmal kamen Pakete oder Päckchen, die gingen immer beim Hauptfeld über den Tisch. Hauptfeld Hoffmann machte da wenig Stress, selten nur kontrollierte er die Postsendungen. Auf unserer Kompanie wurde das recht locker gesehen. Nur zu Weihnachten spielte man verrückt, bzw. der Major, da ließ er an einem Tag, an dem recht viele Pakete ankamen, 90 Prozent davon öffnen. Das Ergebnis war für ihn im wahrsten Sinne des Wortes recht ernüchternd. In keinem der Pakete konnte er Alkohol finden,das hieß aber noch lange nicht dass keiner drin war.
So wartete der Springer, das er Vize wurde, der Vize das er E wurde und der E wartete auf seine Entlassung. Um sich die Wartezeit zu vertreiben, ließen sich die Soldaten einiges einfallen. Die Springer wurden mit Arbeit zugedeckt, dass sie gar nicht zum Nachdenken kamen. Der Vize bastelte sich einen Daumen, den er stolz den Springern unter die Nase hielt. Später durfte er dann das Maßband anmalen und sich einen Maßbandbehälter basteln. Der E hatte alles im Gebrauch, das Maßband war das Heiligtum. Das Maßband war 150 cm lang.150 Tage vor der Entlassung erfolgte der Anschnitt. Jeden Tag wurde es um einen Zentimeter kürzer. Man kannte allerdings nicht den genauen Entlassungstag, es gab mehrere Faktoren die da mit spielten. Denn Sonntag wurde nicht entlassen und in der Regel waren zur Entlassung drei Tage vorgesehen, um ein totales Chaos auf den Bahnhöfen zu vermeiden. Für gewöhnlich wurde der erste mögliche Entlassungstag zum Anschnitt zu Grunde gelegt. Beim Anmalen des Maßbandes gab es genaue Regeln. Samstage, Sonntage und Feiertage wurden mit unterschiedlichen Farben gekennzeichnet. Die Farben wurden geändert, wenn eine Spur abgegeben wurde ( z. B. von 100 auf 99 Tage ), wenn 50 Tage vorbei waren. Der Mätzchen gab es viele. Das Ritual sah vor das ein E vom Anderen das Maßband kontrollieren durfte. Hatte er es nicht am Mann oder vergessen es auf den aktuellen Stand zu bringen, war eine Strafe fällig. Aber wehe, es viel einen Offizier in die Hände. Mit Vorliebe zogen sie die Maßbänder ein. Es galt als das Relikt der EK Bewegung schlecht hin. Einmal erlebte ich, wie der Ulei gerade dazukam, als sich die E`s selber feierten und unter frenetischen EK rufen, ihre Maßbänder schwenkten. Der Ulei befahl ihnen die Dinger einzustecken, nach 5 Minuten hatten es alle bis auf Gefreiten Tischer begriffen. Der hielt das Maßband dem Ulei unter die Nase und sagte, küss es. Wir johlten vor Freude aber gut gehen konnte das nicht. Der Ulei wurde blass und wollte das Maßband ergreifen, der Gefreite war schneller und steckte es ein. Leipziger baute sich vor Tischer auf, Gefreiter Tischer ich befehle ihnen jetzt und sofort das Maßband herauszugeben. Sollten sie den Befehl verweigern kennen sie die Konsequenzen. Unter lauten Buh rufen gab er das Maßband raus. Einer rief, das merken wir uns Ulei. Der sagte nur, Tischer nach 18.00 Uhr kommen sie auf mein Dienstzimmer. Am Abend hatte Gefreiter Tischer sein Maßband wieder. Der Ulei war kein Dummer, er hatte dafür gesorgt das jeder sein Gesicht wahren konnte. So ein Verhalten wussten die E`s zu schätzen.
Überhaupt machten die Uleus im Bataillon einen recht guten Eindruck. Sie waren geistig beweglich, immer auf der Höhe der Zeit und bemüht aus der jeweiligen Situation das Beste zu machen. Wer von den Abiturienten sich für Offizier auf Zeit entschieden hatte, war ein helles Köpfchen. Sie verdienten im Vergleich zum Unteroffizier viel mehr Geld, waren mit Urlaub besser gestellt, genossen auch so viel mehr Freiheiten und waren bei den Soldaten recht gut angesehen. Dafür mussten sie nur ein Jahr länger dienen wie der Unteroffizier.
Im Bataillon gab es einen E, Soldat Pötschke, der war schon über 50 mal in UE ( unerlaubte Entfernung ) gewesen. Oberstleutnant Benz, der Batailloner, versuchte diese Angelegenheit unter den Tisch zu kehren. Immer wieder schickte er die Wache los um ihn zu suchen und zurück zu bringen. Eines Tages bekam der Divisionsstab von den Vorfällen Kenntnis. Der Soldat wurde zu vier Monaten Schwedt ( Armeeknast ) verurteilt. Das war Mitte November 79 passiert. Als dieser Pötschke im März 80 wieder zurück kam, hätte er normalerweise die Zeit nachdienen müssen. Um ehrlich zu sein, Pötschke hatte für mich nicht alle Tassen im Schrank, er war brutal und gewalttätig. Passte ihm was nicht drohte er sofort mit Prügel und oft genug kam es vor das er es in die Tat umsetzte. Auch nach seiner Strafe hatte er sich nicht geändert, immer nur die große Schnauze. Das war ungewöhnlich, denn Schwedt war kein Zucker lecken. Für mich war es ein Zeichen, das mit ihm irgend etwas nicht stimmte. Eines Abend marschierten wir zum Abendessen, Uleu Werneke von der zweiten Kompanie hatte OvD und kontrollierte gerade das Küchenobjekt, als Pötschke zum Essen kam. Sofort belegte er den Uleu auf das Übelste. Aus seinen Worten entnahm ich, sie mussten wohl aus dem selben Dorf stammen. Er sagte unter anderem zum Uleu, irgendwann erwische ich dich, dann bist du fällig, dann steche ich dich ab. Den Uleu beeindruckte das wenig. Er sagte du warst in der Schule schon ein Schaumschläger und bist es jetzt noch. Irgendwann wird es mit dir Pötschke ein schlimmes Ende nehmen und wenn du nicht zusiehst dass du aus meinen Augen verschwindest, lasse ich dich wieder dorthin bringen wo du gerade herkommst. Pötschke bekam ein Schreikrampf, der Uleu ging und kam mit der Wache wieder. Sie arretierten Pötschke vorläufig. Zwei Tage später wurde er als Zivilist in unehren abgeschoben.

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