Mittwoch, 5. Oktober 2011

Anschnitt, Freizeit und Anderes


Der November  ging dem Ende entgegen, wir näherten uns immer mehr den ominösen letzten 150 Tagen. Den Bandmaßanschnitt hatten wir auf das erste Novemberwochenende gelegt. Fleißig wurden schon die Alkoholvorräte gehortet. Im Vorfeld der Feierlichkeiten mussten noch die Springer festgelegt werden, die den Anschnitt vollzogen. Die Sattelfahrer suchten einen raus und wir Tankerfahrer legten ebenfalls auf einen fest, bzw. sie überließen es mir einen fest zu legen. Im Allgemeinen galt es als große Ehre für den Springer, dieses Ritual vollziehen zu dürfen. Ehrlich gesagt, ich war froh das man mich damals damit in Ruhe gelassen hatte. Schon die Anzugsordnung für den Springer fand ich sehr merkwürdig um nicht zu sagen  erniedrigend. Aber andere sahen es nicht so verbissen. Chaleri nahm einen Springer aus seinem Nachbarort Nochten. Ich hatte mich schon bei Zeiten auf einen Kandidaten festgelegt. Immer wenn die Neuen kamen schaute man ob ein bekanntes Gesicht darunter war. Diesmal kannte ich eines, wenigstens vom sehen. Der Frischling wohnte wirklich nur zwei Straßenecken entfernt von mir auf der Hübnerstraße. Eines Tages sprach ich ihn an. Genauso wie wir im ersten Diensthalbjahr standen die Springer auf den Flur und mühten sich die Zeltplane vorschriftsmäßig zu falten und sie hatten dieselben Schwierigkeiten damit, wie wir sie hatten. Ich ging zu ihm hin und erklärte ihm die kleinen Tricks. Neubert hatte mir damals auch geholfen. Ich fragte ihn ob er auf der Hübnerstraße wohnt, er nickte. Ich sagte, ich komm von der Winkelmannstraße. Er schaute mich an, jetzt wo du das sagst, klar habe ich dich schon einmal gesehen. Wir quatschten eine Weile bis Uffz. Remus sich darüber echauffierte. Ich sagte zu Holger, so hieß er mit Vornamen, lass den Remus nur spinnen, in ein paar Wochen lachst du darüber. Remus war der Uffz. der sich mir menschlich überhaupt nicht erschloss. Sein Wesen war wie eine erstarrte Maske. Schaute man ihn an wusste man nicht, ist es Hochmut, Dummheit, Eitelkeit oder nur Angst ihn zu durchschauen, die aus seinem Gesicht starrten. Chalerie meinte, der ist dumm, so einfach ist das. Er hatte sich des Öfteren mit Remus angelegt und polterte der wird so langsam fällig für die Schwarzdecke. Ich entschied, Holger wird unser Bandmaße anschneiden. Samstag am späten Nachmittag ging es los. Mit den Uffzen. gab es niemals Schwierigkeiten, denn in jedem dritten Diensthalbjahr wurde wenigstens einer von ihnen ein E. Wir verdunkelten den Korridor und stellten 22 Stubenhocker in Reih und Glied auf. Während wir uns in lockere Freizeitbekleidung schmissen, einige hatten sich von zu Hause einen Schlips besorgt, mussten unsere zwei Springer lange Unterwäsche anziehen. Das weiß der Unterwäsche war angemessen für unsere Feier. Dazu legten sie ihr schwarzes Koppel an und schlüpften in ihre  Knobelbecher . Als Kopfbedeckung trugen sie den Stahlhelm mit einer Kerze obenauf. Diese wurden dann kurz vorm Anschnitt angezündet. Wir schmückten unser Haupt wieder mit der Kragenbinde, die mit der Aufschrift EK 81 I versehen war und stellten uns auf die Hocker. In der Hand hielten wir unser ausgerolltes Maßband. Am anderen Ende des Maßbandes befestigten wir den Stahlhelm. Während der eine Springer ein Kopfkissen mit der Schere trug, schnitt der andere mit dieser den ersten Zentimeter ( 150 ) vom Maßband ab. Laut polternd schlug der Helm auf die Fliesen, wir schrieen  EK. Das ging 22 Mal so. Im Anschluss machten wir ein Gruppenfoto, zur Erinnerung an die schöne Feier. Überhaupt wurde diese Zeremonie von Dietmar bildlich genau festgehalten. Wir feierten bis in den Morgen, es war eine geile Feier. Als E hatte man reichlich Freizeit, wenn man nicht gerade Wache schob. Ich nutzte die Zeit um Conny mit Briefen einzudecken. Ich schrieb ihr nun fast täglich und bekam genauso viel Post von ihr. So war ich bestens über unseren Sohnemann informiert. Conny gestaltete die Briefe mit viel Liebe. Das ließ mich hoffen dass unsere Zeit nach der Armee eine Glückliche werden wird. Außerdem schrieb ich nun öfters mal an Nährius. Der diente ja in Berlin beim Wachregiment. Andreas hatten sie ein Jahr eher gezogen wie mich. Als Dreijähriger musste er noch ein halbes Jahr länger dienen . Dafür war er Unteroffizier. Aber ich glaube beim Wachregiment waren sie fast alle wenigstens Uffz. Man dachte nun schon öfters mal über den Wehrdienst nach. Für mich war es die richtige Entscheidung gewesen mit den 1 ½ Jahren. Diesen Stumpfsinn den man hier erlebte wollte ich keinesfalls 3 Jahre erleben und ich brauchte es ja auch gar nicht. Als Uffz. stand man auch immer zwischen den Fronten und selber waren sie sich untereinander auch nicht grün. Wenn ich solche Typen wie den alten Plattenschrank Werner sah und ihn mit Ammling verglich, da waren schon Welten dazwischen. Die konnten sich gar nicht grün sein. Das Einzige was ich interessant fand war der Offizier auf Zeit. Da gab es ordentlich Kohle und man war nicht irgendwer. Da ich kein Abitur hatte kam ich dafür nicht in Frage. Außerdem wusste ich bis zum Antritt meiner Dienstzeit gar nicht dass es so etwas gab. Aber im Großen und Ganzen war die Armee ein armseliger Verein, das spiegelte sich auch bei den Berufsoffizieren und Unteroffizieren im täglichen Leben wieder. Trost fanden sie oftmals nur im Alkohol und von unserer Truppe wurden immer wieder welche aufs Trockendock gepackt. Zurzeit war es Spritalfred. Mit Zapfenludi hatte ich um die Vorweihnachtszeit wenig zu schaffen, durch den Wachdienst. Aber wenn, brannte meistens die Luft. Kümmerli meinte zwischen Euch scheint der blanke Hass zu herrschen. Ich sagte zu ihm, das kannst du vergessen, an so einen Trottel verschwende ich keinen Gedanken. Als Luderer wieder mal die Schnautze so richtig voll hatte mit mir, bestrafte er mich mit der Säuberung des Zugführerzimmers. Ich trabte ab und schaute mich in der Bude erst einmal um, als die Tür aufging. Es war der Lückenhafte der erschien. Erstaunt fragte er mich, Müller was machst du denn hier? Der Oberleutnant hat mich zum reinigen her geschickt.  Der Lückenhafte schüttelte den Kopf und meinte typisch Luderer. Ich schick dir ein paar Springer, die tust du ordentlich beaufsichtigen. Natürlich schickte er mir die größten Lumperhunde und sagte, mach ihn ordentlich Dampf. Eine Stunde später kam Zapfenludi. Entsetzt sagte er, Müller sie sollten doch hier sauber machen. In seinem Gesicht spiegelte sich die Enttäuschung wieder. Ich sagte zu ihm, der Hauptmann hat befunden, solche Aufgaben stehen mir nicht zu und grinste. Jetzt war er richtig fassungslos, wie kann der Hauptmann gegen mein Befehl handeln. Lachend sagte ich, er ist der Ranghöhere und ließ ihn stehen. Vielleicht das nächste Mal, legte ich noch einen nach. Am nächsten Tag lief ich dem Major über den Weg. Müller schrie er, wie laufen sie denn schon wieder rum. Mit ihrer Frisur sehen sie wie die Zündis und Mopedisten aus. Dieser Ausspruch zählte mit zu seinen Lieblingssprüchen. Beliebter war nur noch, nehmen sie die Hände aus den Hosentaschen und hören sie auf Taschenbillard zu spielen. Jedenfalls jagte er mich zum Friseur. So unrecht war  mir das gar nicht, da waren sie zur Urlaubszeit um Weihnachten schon wieder ordentlich nachgewachsen. Persönlich brachte er mich zur Friseuse und plärrte rum, in einer Stunde sind sie wieder auf der Kompanie. Die Friseuse sagte zu ihm, Major sie sehen doch der Laden ist voll, das dauert wenigstens zwei Stunden. Müller dann kommen sie wieder mit, brüllte er. Die Gute sagte, Major der Einzige der hier in meinem Laden rumschreit das bin ich und Soldat Müller bleibt hier sitzen. Roos trabte ab. Lachend sagte sie zu mir, was der sich nur denkt. Ich enthielt mich jeden Kommentars,  denn schließlich saßen auch noch andere Offiziere rum. Die Friseuse war bei den Soldaten recht beliebt, kein Wunder bei den wenigen Frauen die in der Kaserne arbeiteten und hässlich war sie auch nicht. Es gab immer einige Offiziere und Berufsunteroffiziere die um sie herumschleimten. Auch heute saßen wieder solche Kandidaten herum, die ihre Schleimspur hinterließen. Umso neidvoller waren ihre Blicke als sie mir einen Kaffee anbot nachdem sie ihren Kunden die Murmel abrasiert hatte. Dabei machte sie öfters so etwas, vor allem bei den Soldaten, sie wusste ganz genau was wir verdienten. Das war ja kein Geheimnis. Genauso wenig wie das Trinkgeld was eine Friseuse in der DDR bekam. In der Regel entsprach es einen Monatslohn. Das sie zu mir besonders freundlich war lag mit Sicherheit an dem gestörten Verhältnis zu Roos. Wenn der seinen besten Kumpel den Bombenwilli in die Kaserne zum Haare schneiden bestellte, nahm er ihr ja die Kunden weg. Sie hatte sich schon ein paar Mal beim Batailloner beschwert. Aber Roos scherte ja so etwas wenig, der machte doch immer was er wollte. Das was hier ablief war die Rache der kleinen Friseuse und ich war das Mittel zum Zweck.
Dieses Jahr hatten die Zugführer aufgepasst und die Wasserscheider an den Tankern bei Zeiten leeren lassen. Aber nach wie vor mussten wir an die Fahrzeuge, um sie zu „warten und zu pflegen“. Bei diesen Temperaturen eine unangenehme Sache. Ich schmiss mich in mein Fahrzeug und stellte die Heizung an. Die Springer mussten aufpassen ob Offiziere im Anmarsch waren. Uns war es verboten die Heizung anzustellen. Aber mich interessierte es nicht. Die Offiziere saßen ja auch auf ihren Zimmern rum und wärmten sich ihr Hinterteil. Meistens kamen sie kurz vor 10.00 Uhr um uns zum zweiten Frühstück abzuholen. Frühstück war übertrieben, es war eher eine Kaffeepause. Mit dem Atomino brachten wir das Wasser in unseren Kameradenbetrügern zum kochen und brühten uns Kaffe, manche hatten auch Löslichen und ich hatte noch meinen leckeren schwarzen Tee vom ersten Diensthalbjahr. Lange würde der nicht mehr reichen aber Vater hatte mir eine große Dose löslichen Kaffee aus dem Intershop geschickt und dazu noch eine Büchse klare Rinderbrühe. Gerade in den Wintermonaten war dieser Extrakt eine feine Sache. Mit Dingen aus dem westlichen Ausland wurde Uschi von seinen Eltern so richtig eingedeckt. Aber er war der jenige von uns der damit am meisten geizte. Dietmar von unserer Truppe bekam am wenigsten von seinen Eltern zugesteckt. Ihm schob ich öfters mal was rüber.  Eines Tages kamen wir wieder auf das  Zimmer zum Frühstück. Unser langer Müller hatte sich die Handschuhe versaut, er wollte sie waschen. Wir passten nicht weiter auf. Plötzlich schrie Meise zu ihm, Mensch du spinnst wohl und wollte ihn auf die Finger schlagen. Doch bevor er dazu kam schmiss unser Langer den Atomino in die Waschschüssel. Nur war die Waschschüssel aus Alublech. Es funkte gewaltig. Vor Schreck griff er nach der Schüssel. Gott sei Dank erreichte Meise diesmal die Finger vom Langen rechtzeitig. Erst in dem Moment kam die Sicherung. So waren sie die lieben angehenden Akademiker. Kurz vor Weihnachten hatte ich noch ein paar Weihnachtseinkäufe zu erledigen. Ich wollte unbedingt einmal 16.00 Uhr in den Ausgang. Denn 18.00 Uhr wenn der reguläre Ausgang begann hatten nur noch Kneipen auf. Massi wollte mit. Also sprachen wir beim Spieß vor. Der meinte, naja Jungs, morgen habe ich eine Spezialaufgabe für Euch, wenn sie erledigt ist könnt ihr gehen. Das regeln wir ohne den Zugführer. Ich gebe Euch die Ausgangskarten und ihr verschwindet. Am nächsten Tag nach dem Mittagessen trabten wir beim Hauptfeld an. Er drückt mir 4 Zimmerschlüssel in die Hand und sagte die Betten darin müssen bezogen werden. Im Dezember kommen Resioffiziere, da muss auf den Zimmern  Ordnung herrschen. Massi und ich schnappten uns jeder einen Springer und los zogen wir. Ich schloss das erste Zimmer auf, überrascht stellten wir fest, die Betten waren frisch bezogen. Genauso sah es in den anderen Zimmern aus. Während die Springer die Zimmer noch einmal durchkehrten und wischten holte ich den guten Löslichen und wir tranken erst einmal Kaffee. Denn so zeitig würde der Spieß uns nicht gehen lassen. Nach einer reichlichen Stunde rafften wir uns auf und suchten den Spieß. Wir suchten ihn eine ganze Weile, dann fanden wir ihn in  einem Zimmer eine Etage niedriger. Er hatte sich mit Penndorf und Werner dahin verkrümelt und sie spielten Skat. Hauptfeld, gib uns bitte die Ausgangskarten, bat ich ihn. Jetzt nicht sagte er, ihr seht ich spiele Skat. Ich schaute genauer hin und sah die halbleere Schnapsflasche am Stuhlbein vom Spieß und sagte zu ihm. Ehe du hier die große Lippe riskierst, höre auf zu saufen. Denke daran was du uns versprochen hast. Werner wollte aufbegehren. Massi sagte zu ihm, halt die Fresse du alter Plattenschrank oder wir machen dich rund du alter Spinner. Wohl oder Übel machte sich der Spieß auf, die Ausgangskarten zu holen. 

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