Dienstag, 18. Oktober 2011

Muckerausbildung

Noch im Januar war Muckerausbildung angesetzt. Es sickerte durch, unter anderem sollte die Ausbildung mit scharfen Eierhandgranaten durchgeführt werden. Zur Aufwärmung mussten wir Schützenlöcher graben. Die ersten 10 – 20 cm Erde waren gefroren. Das Graben war ein Schund. Im Anschluss war Handgranatenzielwerfen mit scharfer Munition angesagt. Interessant waren die Sicherungsmaßnahmen. Wir mussten in einen Bunker, solange bis jeder an der Reihe war. Vom Bunker führte ein Schützengraben zur Stellung, von wo aus die Handgranaten geworfen wurden. Neben dem Werfer stand ein Offizier, der alles noch einmal erklärte. Vor der Stellung befand sich ein weiterer Schützengraben. Im Notfall schlug der Offizier dem Werfer die scharfgemachte Handgranate aus der Hand, wenn der vor Angst oder Aufregung die Handgranate nicht losließ. Die Handgranate viel dann in den Sicherheitsgraben. Während wir im Bunker auf unseren Einsatz warteten erzählten wir dem ersten Diensthalbjahr lauter Schauermärchen, was so alles passieren könnte. Dabei hatten wir selber noch nie scharfe Handgranaten geworfen. Aber wir hatten reichlich Phantasie. Taumelmüller wurde blass. Als Chaleri dann erzählte wie es seinem Kumpel die Hand abgerissen hatte, fingen seine Kniee an zu zittern. Dann war ich an der Reihe. Der Lückenhafte beaufsichtigte das Handgranatenzielwerfen. Er erklärte mir wo ich die Handgranate  hinwerfen sollte. Ich drücke den Hebel, zog den Splint, ließ den Hebel los, zählte bis drei und warf das Ding Richtung Ziel. Ich gebe es zu, das ich genau ins Zentrum geworfen hatte war Zufall. Darüber war ich selber erschrocken. Taumelmüller war fertig mit den Nerven als er ran musste. Lück musste ihn gewaltig auf die Hände schlagen, damit er die Eierhandgranate los ließ. Als Tagesabschluss wurde wieder der Sturmangriff geübt. Am nächsten Tag stand Schießen auf dem Plan. Der Lkw brachte uns zum Kammerforster Schießplatz. Da waren wir zwei Stunden unterwegs. Ich hatte bei der Armee gelernt schnell und möglichst überall einzuschlafen. Selbst auf der Wache am Postenpilz stehend war mir das gelungen. Das wäre vor der Armeezeit undenkbar gewesen. Also schlief ich auch auf dem Lkw. Die ersten Schießübungen hatten wir auf dem Drosselacker gehabt. Nach einen knappen halben Jahr sind wir dann immer nach Kammerforst gefahren. Erst hatte ich mich gewundert darüber, denn vom Weg war es schon ein gewaltiger Unterschied. Aber letztendlich konnte es mir egal sein, denn ich kam keinen Tag eher nach Hause. Da war es völlig Wurst auf welchem Schießplatz wir schossen. Als wir das erste Mal auf dem Kammerforster Schießplatz  auftauchten, leitete Major Bernd das Schießen. Roos hatte sich da wieder über alle Befehle weg gesetzt. Bernd hatte ausdrücklich verboten während des Schießens im Schussfeld rumzuturnen. Roos war das egal, als einer der Pappkameraden klemmte, stürzte er sich ins Schussfeld, um den Kameraden wieder aufzurichten. Bernd schrie kommen sie zurück, Major Roos. Den interessierte das nicht. Jeder wusste, solange das schießen nicht unterbrochen war, konnte immer was passieren und wenn so einer wie Roos da rumstützte konnte man 100 Prozent davon ausgehen, das was passierte. Vier Gefreite lagen mit der MPI im Anschlag, Lück stand daneben und passte auf. Auf einmal sah ich wie er Gefreiten Ritter auf die Hand und die Maschinenpistole trat. Keiner sagte ein Wort, erst als Roos aus dem Schussfeld war trat er wieder zurück. Offiziell hatte es den Vorfall natürlich nicht gegeben. Aber es war rum in der Kaserne.
Diesmal ging es ruhiger und friedlicher beim Schießen zu. Nur einige Springer zuckten rum, als ein paar von uns mit ihren Gewehren schießen wollten. Ich sagte zu Springschilling, entweder du gibst mir deine Kaschi oder du putzt meine mit. Er wählte das kleinere Übel. Waffenputzen wurde immer mal wieder angesetzt, nicht nur nach dem Schießen. Wenn Roos es beaufsichtigte wurde es prinzipiell auf dem Gang in der Kaserne durchgeführt. Bei den Zugführern sah das etwas anders aus. Da verkrümelten wir uns auf die Zimmer zumindest die E`s. Bei Übungen mussten die Resioffiziere mit raus. Sie wurden einem Berufsoffizier zugeordnet. ich sagte zu dem Leutnant der Luderer zugeordnet wurde, passen sie nur auf, dass den seine Blödheit nicht abfärbt. Die es hörten mussten lachen einschließlich des Resioffiziers. Luderer quäkte in seinem merkwürdigen Dialekt, Gungs was ist denn da schon wieder los. Ach sie schon wieder mit dabei, Müller, meinte er. Ich ignorierte seine Bemerkung, er war für mich Luft. Bei der nächsten Fahrübung revanchierte ich mich bei ihm. Er stand so schön neben einem gut gefüllten Schlagloch. Da wir bei Fahrübungen nie alleine Fahren durften packten sie uns immer einen Resioffizier auf den Lkw. Früher waren bei solchen Übungen nur die Hälfte der Fahrzeuge raus gefahren. Seit dem in Polen die Unruhen ausgebrochen waren, mussten alle Fahrzeuge rollen. Außerdem absolvierten wir Tankerfahrer noch einige Fahrstunden auf dem Sattelschlepper. Es machte mir direkt Spaß mit diesen langen Ungetümen durch die engen Gassen von Erfurt zu fahren. Die erhöhte Alarmbereitschaft galt logischer Weise nicht nur für unser Transportbataillon. Immer wieder konnten wir von unserem Stubenfenster die Fahrzeuge der Artillerie beobachten, wenn sie zur Übung ausrückten. Die Artilleristen waren in Erfurt auf der Henne stationiert. Von der Luftlinie hergesehen war die Kaserne vielleicht zwei Kilometer von uns entfernt, wenn überhaupt. Dazwischen lagen nur Feld und Sträucher. Nicht weit von Erfurt befanden sich die Kampfhubschrauber der sowjetischen Armee. Auf halber Strecke zwischen Erfurt und Weimar stand die Kaserne der russischen Soldaten in Nohra. Auch sie flogen verstärkt Einsätze. Ich sah es gerne wenn die Hubschrauber nachts flogen. An ihren Rotoren waren rote, gelbe und blaue Beleuchtungen angebracht. Die Bedeutung der Lichter war mir unbekannt, aber es sah immer so aus als ob nur Kreise am Himmel schwebten. Da sage einer, „die Armee wäre nicht romantisch“. Das die Anderen  Truppenteile verstärkt Übungen abhielten bekamen einige von uns auf eine andere Art und Weise zu spüren. Die Objekte mussten öfters mit Sprit versorgen werden. Das Empfanden wir eigentlich als eine angenehme Abwechslung. Wir brauchten dadurch nicht mehr sooft zum „Einarmigen“ laufen. Unsere Getränke brachten wir mit den Tankern rein. Wir ließen sie einfach in den Fahrzeugen liegen und schlichen uns nach 18.00 Uhr in den Fahrzeugpark. Die meisten Fahrten erledigten Rudi und Meise. Eines Tages kam Rudi von so einer Fahrt zurück, er sah blass aus und wirkte verstört. Dietmar der unter ihm im Bett schlief, war ein einfühlsamer Mensch. Er fragte Rudi was los ist. Erst wollte er überhaupt nichts sagen, aber dann als Dietmar nicht locker ließ, brach es aus ihm heraus. Der Batailloner persönlich hatte ihm beim Bier holen erwischt. Er kam aus der Kaufhalle und wollte mit seinem Teil zum Tanker, als der Batailloner gerade in den Konsum wollte. Da war er natürlich fällig. Das war bedauerlich aber nicht zu ändern. Nur dass Rudi sich das so zu Herzen nahm, verwunderte mich doch. Er hörte gar nicht mehr auf mit rumjammern, das war schon peinlich. Ich sagte zu ihm den Kopf werden sie dir nicht runterreisen. Aber wenn die mich degradieren, winselte er weiter, was sollen die Leute denn in Geising von mir denken. Entsetzt schauten Meise und ich mich an, wir dachten wohl das Selbe. Meise sagte zu ihm, na hör doch auf, so bekannt wirst du doch wohl nicht sein und wenn, was ist schon dabei wenn sie dich degradieren, da kannst du stolz drauf sein. Entgeistert guckte Rudi zu Meise,  dann legte er los. Du spinnst wohl, die Familie Rudolph ist eine angesehne Familie in Geising, eine Degradierung wäre eine Schande für unsere Familie. Bei uns kennt schließlich jeder noch jeden, das ist nicht so wie bei euch in der Stadt. Ich dachte ich bin im falschen Film und sagte zu Rudi, höre auf rum zu spinnen, du willst mir doch nicht erzählen, dass jeder auf jeden aufpasst, du Weichei. Rudis verhalten konnte ich nicht nachvollziehen, es war mir schlicht weg rätselhaft. Sollte der Unterschied zwischen Stadt und Land wirklich so groß sein. Obwohl sie ihn nicht degradiert hatten, wollte ich darüber nicht nachdenken. Rudi war ja ansonsten kein schlechter Kamerad und seine Schwächen hatte jeder.
Überhaupt waren manche Dinge die so passierten recht merkwürdig und warfen einen dunklen Schatten auf die Kaserne. Uns Soldaten war es verboten am Standort der Kaserne ein privates Fahrzeug zu stationieren. Ich machte mir darüber keine Gedanken, denn ich besaß ja kein eigenes Auto, wie die meisten Anderen auch. Das traf aber nicht für alle zu und einige hatten heimlich ihr Auto mit nach Erfurt gebracht. Für gewöhnlich dauerte es keine 4 Wochen, dann wusste der Batailloner bescheid. Die Soldaten mussten ihren Fahrzeugschlüssel abgeben. Als ich im zweiten Diensthalbjahr noch viel Feuerwache gestanden hatte, war ich auch mit Gefreiten aus der ersten Kompanie zusammen. Einer von ihnen hieß Gerhard und war aus Langebrück, einem kleinen Vorort von Dresden. Er hatte einen alten F8 mit nach Erfurt gebracht. Den hatte er in einer Garage abgestellt. Trotzdem dauerte es nur wenige Wochen, da musste auch er den Fahrzeugschlüssel abgeben. Dazu viel mir nichts ein,  denn der größte Lump im Land ist und bleibt der Denunziant.


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