Mittwoch, 19. Oktober 2011

Armeetrott

 Alles lief in tief eingeschnittenen Bahnen ab. Vieles hatten wir schon in den ersten beiden Diensthalbjahren kennen gelernt, vieles war Wiederholung und wurde zur Routine. Da kamen Abwechslungen gerade Recht. Es kündigte sich der Besuch eines Generals aus Berlin an. Er soll mal Kommandeur der 4. Motschützendivision  gewesen sein, der Vorgänger vom jetzigen Chef Oberst Gleau. Sein Name war Seefeld. Den Namen hatte ich noch nie gehört und würde ihn bestimmt schnell wieder vergessen. Aber der Batailloner kannte ihn gut, er war ja unter ihm zum stellvertretenden Divisionskommandeur berufen wurden. Bestimmt erhoffte er sich seine Wiederbeförderung von ihm. Bekanntlicher Weise stirbt die Hoffnung zuletzt. Auf was für Ideen die da kamen, um das Bataillon von der besten Seite zu repräsentieren. Es wurde allen Ernstes erwogen den Rasen grün zu spritzen, wo er nicht mehr so dicht wuchs. Gott sei Dank setzten sich die vernünftigeren Offiziere durch und der Unsinn unterblieb. Aber der Bordstein wurde weiß gestrichen. Das sah sogar richtig schick aus. Wir empfingen den General mit einem Bataillonsappell. Ich sah das erste Mal in meinem Leben einen General live. Ich fand die Generalsuniform albern. Sie war mehr grünlicher wie die anderen Uniformen und an der Seite mit dicken roten Streifen verziert. Ich musste an einem Papagei denken, wie er da so anstolziert kam. Er richtete ein paar Worte an uns um dann mit Zirl im Stabsgebäude zu verschwinden und er wurde nie mehr gesehen.
Kurz nach dem Besuch des Generals hielt die erste Kompanie eine Übung ab. Die erste Kompanie des Major Schmalz war ja so etwas wie die Stabskompanie. Ihre Technik diente in erster Linie den Stabsoffizieren im Einsatz oder es waren Spezialfahrzeuge für besondere Einsätze. Zirl entschloss sich kurzfristig die Kompanie während der Übung zu besuchen. Er machte sich am späten Nachmittag auf zur Stippvisite. Was er da zu sehen bekam zog ihm die Schuhe aus. Zwei drittel der Kompanie lag besoffen in den Zelten und Fahrzeugen rum. Feldwache war Fehlanzeige. Der Oberstleutnant tobte, er rief nach Beendigung der Übung einen Bataillonsappell ein. Es hagelte an Degradierungen und Strafversetzungen. Das fing bei den Gefreiten an und endete bei den Offizieren. Am schlimmsten erwischte es die Unteroffiziersränge. Wenn Offizier und Unteroffiziere strafversetzt wurden erfuhr man nie wo die hinkamen. Mich interessierte das schon, denn die Meisten von denen waren ja schon strafversetzt als sie zu uns kamen. Da fragte man sich schon, was nach uns kam.
Wenig später musste Gefreiter Clauß von unserer Kompanie mit seinem Kranfahrzeug zu einem Noteinsatz. Der Kranfahrer der ersten Kompanie war mit seinem Ausleger in die Hochspannungsleitungen geraten. Der Kran musste geborgen werden. Dem Kranfahrer war Gott sei Dank nichts passiert. In seiner Kanzel saß er wie in einem faradayschen Käfig. Unteroffizier Boehr musste auch mit seinem 813 Tatra raus. Mit vereinten Kräften bargen sie den Kran und stellten ihn im Kfz Park vor der Werkstatt ab. Am nächsten Tag schaute ich mir den Kran an. Man sah genau wo der Strom entlang geflossen war. Er hatte gewaltige Brandspuren hinterlassen das Stahlseil des Krans war durchgeschmort. Am Ausleger sah man die Eintrittsstelle und an den Reifen die Austrittsstellen. Alle  Räder hatten Plattfuß. Die Brandspur war ungefähr 10 Zenzimeter breit. Der verbrannte Gummi stank immer noch gewaltig. Der Kranfahrer wurde zum Soldaten degradiert. Die Zahl der Gefreiten auf der ersten Kompanie nahm eine bedenkliche Größe an.
Die Springer lumperten wieder einmal rum. Im speziellen waren es Krause - Huddel, Springschilling und Taumelmüller. Sie hatten die Betten früh schlecht gebaut. Der Major persönlich hatte sie eingerissen. Wir mussten die Betten selber noch einmal bauen.  Dafür hatte ich ihnen kanadischen Winter auf dem Flur verpasst. Das war die nicht ganz so schwere Art der Bestrafung. Auf dem Zimmer das wäre schlimmer gewesen. Ich streute P3 auf den Korridor und ging in den Fernsehraum. Nach einer halben Stunde kam Spielvogel in den Fernsehraum und fragte mich, ob ich wüsste was meine Springer machen? Na klar denen habe ich kanadischen Winter verpasst.  Spielvogel sagte, da geh mal gucken was die Treiben. Ich ging auf den Flur und dachte mein Schwein pfeift. Sie kehrten das P3 mit dem Besen zusammen und schütteten es in den Eimer. Ich ließ den Gang fertig kehren. Danach ging ich zu ihnen hin, sie wären fertig mit dem Gang. Ja klar sagte ich, mit kehren und jetzt machen wir das ganze Spiel noch einmal mit Wasser. Frank schüttete vom anderen Gang Ende  neues P3. Ich holte das Wasser mit dem Eimer persönlich aus dem Bad und kippte es auf das Scheuermittel. Die Springer standen wie angewurzelt. Krause giftete los, das machen wir nicht. Ich schnappte mir Krause und sagte, du alter Giftzwerg, wenn ihr die Arbeit gleich richtig gemacht hättet, wärd ihr zur Hälfte schon fertig. Jetzt fangt ihr eben noch einmal von vorne an. Hoffentlich bleuen dir das mal deine eigenen Zimmerkameraden ein. Damit das diesmal besser klappt, hole ich jetzt einen Vieze der euch beaufsichtigt, ihr müsst doch wohl spinnen. Ich holte Speer, der sie beaufsichtigte.
Ende Januar war wieder eine EK Feier angesagt. Wir hatten am Maßband eine Spur verloren. Noch 99 Tage bis zur Entlassung. Das musste natürlich gefeiert werden. Die LMAA Stimmung wurde größer. Die nächsten Übungen standen an. Es ging um die Qualispangen. Die Qualispangen  waren eigentlich die einzigen anerkannten Auszeichnungen unter den Soldaten. Die musste man sich wirklich durch Können verdienen. Ich besaß die Quali III. Die hatte ich im ersten Diensthalbjahr abgelegt. Die Quali II hatte ich nicht machen können, da ich gerade Feuerwache stand. Nun konnte ich die Quali I ablegen. Dafür gab es schließlich 130 Mark. Früh zum Morgenappell standen wir vor der Kompanie. Allgemeines Volksgemurmel herrschte unter uns Soldaten. Roos fing an rumzubrüllen, vielleicht ist hier bald Ruhe oder hat von den Herren EK jemand keine Lust auf die Quali I? Roos wusste wie scharf wir auf die Spange waren, aber die Frage von ihm war so etwas von provokativ, das ich mich spontan zu einem ich entschloss. Richtig laut rief ich, damit es auch alle hörten, ich Genosse Major möchte die Qualispange nicht ablegen. In 87 Tagen bin ich zu Hause, da gehe ich wieder arbeiten und verdiene eigenes Geld. Schlagartig war Ruhe, man hätte die berühmte Stecknadel fallen hören können. Roos klappte der Kiefer nach unten. Aber nicht lange, dann sagte er, Müller raus treten. Das erste Diensthalbjahr johlte vor Freude, sie feierten mich als den einzig wahren E. Roos brüllte los, Ruhe im Glied als sich jemand zu Wort meldete von dem ich es überhaupt nicht erwartet hatte. Oberleutnant Nikolaus musste schon eine ganze Weile aus dem Fenster geschaut haben. Er hatte anscheinend die Sache mit verfolgt und rief, Klasse Müller. Endlich mal einer der Mut in der Hose hat. Ich werde dafür sorgen, dass sie die Qualispange trotzdem erhalten. Oberleutnant, Mensch haun sie ab da oben, brüllte der Major wie am Spieß. Patschen lachte ihn aus. Roos rannte nach oben. Nach einer viertel Stunde kam er wieder runter. Er ließ die Kompanie an die einzelnen Übungsstationen wegtreten und mich jagte er an die Waschrampe. Die zweite Kompanie hatte großen Waschtag mit ihren Lkws. Ich setzte mich in die Tankstelle und machte mir einen Bunten. Die Fahrübung am nächsten Tag musste ich mitmachen. Ach was sollte der Mist, keine drei Monate mehr, was sollte ich mich heiß machen? Die Soldaten vom zweiten Diensthalbjahr, Rosenbaum und Ziege hatten bösartigen Stress mit dem Militärstaatsanwalt. Sie waren in die Knochenmühle des Gesetztes geraten, ohne das sie was dafür konnten. Sie verkehrten im zivilen Leben in intellektuellen Kreisen. Einer ihrer Kumpels hatte versucht in den Westen zu türmen. An der tschechischen Grenze hatten sie ihn geschnappt und den Organen der DDR übergeben. Die hatten ihn richtig in die Mangel genommen, bis er alles sagte was sie wissen wollten. Unter anderem hatten sie ihm suggeriert er wäre von Freunden verpfiffen worden, ansonsten hätten sie ihn nicht gegriffen. Sie wollten von ihm wissen, wer über den Fluchtversuch bescheid wusste. Da sind die Namen Ziege uns Rosenbaum gefallen. Das sie den Fluchtversuch nicht gemeldet hatten, sollte ihnen nun angehangen werden. Es war einfach unglaublich. Auf der Kompanie wurde es unruhig. Die Staatsanwaltschaft ging in die Offensive und berief eine Versammlung ein. Ein Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft leitete die Versammlung. Es zeigte sich die ganze Perversität dieser Institution. Ich fragte den Mitarbeiter wie Ziege und Rosenbaum des Vergehens des Nichtanzeigens des Fluchtversuches angeklagt werden können, wenn sie anderseits dem Flüchtling erklärt hätten, er wäre verraten worden. Sofort wurde ich belehrt das es sich hier nicht um ein Vergehen handelt, sondern um eine Verletzung gültiger Gesetzte der DDR. Wer Gesetzte verletzt begeht Rechtsbruch. Außerdem wäre es eine gängige Praxis dem Landesverräter Fangfragen zu stellen.  Chaleri polterte los, selbst wenn sie es gewusst hätten, würden sie ihre Freunde verraten? Der Mitarbeiter meinte von Verrat kann in dem Fall keine Rede sein, weil es hier um die Vereitlung einer Straftat ging. Die Angeklagten sollten lieber einmal darüber nachdenken, in was für Kreisen sie verkehren. Rosenbaum meinte, gewisse Äußerungen nimmt man doch gar nicht für voll, wer hat denn nicht schon einmal gesagt, ich habe die Schnauze voll, ich haue ab. Bestimmt hat der Flüchtige sich so geäußert, wenn sie mir das so vorwerfen dann habe ich es wirklich gewusst. Der Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft versuchte die Gemüter zu beruhigen. Na, na, na Genossen wir sitzen hier zusammen um in Zukunft solche Sachen zu vermeiden, Fehler können schließlich jedem einmal passieren. Eigentlich machte es überhaupt keinen Sinn mit solchen Menschen über diese Dinge zu reden. Die lebten in ihrer eigenen Welt. Das war schon beim Kaiser so. Ziege und Rosenbaum wurden zu Bewährungsstrafen verurteilt. Die Bewährung dauerte bis zur Beendigung ihres aktiven Dienstes. Aus Protest zu diesem Urteil ließen sie sich Glatze schneiden. Roos bestrafte sie dafür mit Ausgangs – und Urlaubssperre.


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