Montag, 10. Oktober 2011

Die geilste Feststellung aller Zeiten


Die Urlaubszeit war ran. Voller Freude fuhr das erste Viertel unserer Truppe in den Urlaub. Es wurde ruhiger in der Kaserne aber nicht lange. Nach zwei Tagen waren sie wieder eingetrudelt. Fünf Soldaten kamen zu spät aus dem Urlaub. Es waren keine Soldaten von unserer Kompanie darunter. Der Batailloner war außer sich und veranstaltete einen Bataillonsappell. Die kurze Ansprache verfehlte seine Wirkung total, sie war mehr erheiternd. Ein Satz grub sich für immer in mein Gedächtnis ein, das Bataillon brüllte vor lachen. Er stand vor der Truppe und sagte, da gibt es Soldateen, denen gefällt es zu Hause tatsächlich besser wie uuns. Das war das Non plus Ultra aller Feststellungen. Am 24.12. konnte ich in den Urlaub verschwinden. Weihnachten in Familie, in der Eigenen. Das erste Mal, dass war schon was besonderes, auch für Conny. Es waren zwei Tage die ich intensiv mit meiner Familie genoss. Wir gingen spazieren, besuchten Freunde und Verwandte und schon waren die zwei Tage Urlaub um. Eigentlich bekam man von dem realen Familienleben gar nichts mit. Jeder zeigte sich von seiner besten Seite. Sorgen, Kummer oder Nöte wurden von einem fern gehalten. Man konnte es oftmals gar nicht nachvollziehen, was die Menschen im zivilen Leben aktuell bewegte. Das die Armee eine andere Welt war bekam man immer deutlicher zu spüren. Die Ängste die einen selber bei der Armee bewegten, waren in erster Linie die um die Partnerin. Da unterschieden sich einfache Soldaten gar nicht so sehr von den Berufssoldaten. Bei den Einen war es die Entfernung zum Partner die das Leben schwer machten, bei den Anderen der Alkohol der so manche Partnerschaft ins wanken brachte. Im DDR Fernsehen gab es so gut wie keine Reklame, es mangelte eh dem an allem. Dem DDR Bürger war der Unterschied zwischen der Scheinwelt des Fernsehens und der realen Welt nicht so bewusst wie dem Bürger der BRD. Im DDR Fernsehen kamen viele Werbefilme über die NVA. Arbeitskräfte, Soldaten, Unteroffiziere und Offizier wurden immer gesucht. Arbeitslose kannte die DDR nicht. Dem DDR Bürger wurden mit solchen Werbefilmen das interessante und verantwortungsvolle Leben bei der NVA schmackhaft gemacht. Viele zerbrachen an der Realität und suchten Trost im Alkohol.
Am 27.12. nahm mich die Armee wieder „liebevoll“ in ihre Arme. Andere wollten auch in den Urlaub. Bevor der Jahreswechsel anstand wurden wieder einige zur Unterstützung der Feuerwache abgestellt. Mir blieb das diesmal erspart.
Ich hatte mir keinen Schnaps aus dem Urlaub mitgebracht, es gab schon genug auf der Kompanie und die Sattelfahrer hatten mich zum Umtrunk eingeladen. Zwei Tage vor Silvester wurden in der DDR Raketen und Knallzeug verkauft. Am 30.12. hatte mein Busenfreund Luderer vom Major  den Befehl erhalten hinter dem Kompaniegebäude die über die Mauer geflogenen Silvesterartikel aufzusammeln. Klar dass er da mich mit dazu abstellte. Mit Arno und Eimer zog ich los. Hinter dem Kompaniegebäude befand sich die Sturmbahn und zu der gehörte auch der Fuchsbau. Ich schaute in die Betonröhre, selbst dort waren Raketen gelandet.  Ich kletterte hinein und fand neben den abgebrannten Raketen zwei Schnapsflaschen. Wie konnte man nur so blöd sein, die in der Röhre zu verstecken. Ich freute mich riesig über den unerwarteten Fund. Ich sagte zu Arno, schau mal was ich gefunden habe. Auch er bekam das große Grinsen und meinte, so doof können doch nur Springer sein, die Schnapsflaschen hier unten abzutarnen. Wenn sie uns gefragt hätten, wären sie sicher gewesen. Jetzt haben sie den Schaden. Im Eimer versteckt brachte ich sie auf die Kompanie. Wer in den Urlaub fuhr ließ prinzipiell seinen Spindschlüssel da, damit unter anderem solche Dinge versteckt werden konnten. Selbst Roos traute sich nicht an die Spinde rann, da hätte er die Schlösser knacken müssen. Ohne Anlass war so eine Aktion ein ganz heißes Eisen und brachten gewaltigen Arger ein.
Genauso wie die E´s vor einem Jahr wollten wir Punkt Mitternacht das Nachhause gehen üben. Wir waren schon alle ganz wuselig. Einige von uns hatten sich erkundigt, wer OvD am Silvesterabend hat. Hauptmann Pemsel, das war gut so, der wusste wie es am Silvesterabend lang geht und außerdem hat er immer selber Durst. GOvD hatte Unterleutnant Grohmann. Der war erst Ende Oktober von der Offiziersschule gekommen. Er hatte von uns den Namen Hans Moni verpass bekommen. Der lief immer so als ob er hinten einen drin hatte. Wenn er in den Ausgang ging setzte er sich eine Baskenmütze auf und wackelte von dannen. Es war ein Bild für die Götter. Den nahm hier keiner so richtig für voll, der musste sich seine Meriten noch verdienen. Als Vierjähriger hatte er ja noch genügend Zeit dazu. Am 31.12. war Dienst bis Mittag. Am Nachmittag ging ich zum Bataillonstelefon um  nach  Hause zu telefonieren. Das Telefon war lange gesperrt gewesen. Die Post hatte mitbekommen das hier viel schwarz telefoniert wurde. Da gab es bestimmt  einige Reibereien zwischen den Verantwortlichen bei der Post und den Stabsoffizieren. Auch ich benutzte meine Kelle zum telefonieren. Allerdings musste ich eine knappe Stunde warten, es standen etliche Soldaten vor und hinter mir. Es war nur Vater zu Hause. Tobias war schon bei seinen Kumpels. Vater jammerte rum, dass Tobias wieder sturzbetrunken  nach Hause kommen könnte. Ende September war in Dresden Herbstfest gewesen, da kam die Eibauer Schwarzbierbrauerei mit ihren Tankern vor gefahren. Schwarzbier war eine Rarität in der DDR. Die Männerwelt stand Schlange. Wartezeiten  von einer Stunde waren keine Seltenheit. War man endlich dran bestellte man gewöhnlich gleich bis zu 10 halbe Liter. Biertrinken ging man ja auch nicht alleine. Es dauerte eben alles seine Zeit. Tobias ließ sich extra Krank schreiben damit er mit seinen Kumpels dahin gehen konnte. Früh um 10.00 Uhr war er losgezogen. Abends um 10.00 Uhr haben sie ihn nach Hause getragen. Vater war über seinen Liebling entsetzt gewesen. Er hatte es mir auch gleich geschrieben. Sie hatten ihn mit Sachen in die Badewanne gepackt und ihn kalt abgeduscht. Dass das nicht hilft hatte ich am eigenen Leib erfahren, aber erst bei der Armee. Mich freute es eigentlich, dass sein Lieblingssohn noch schlimmer wie ich war. Denn als Lehrling hatte ich mir so etwas nicht getraut. Nun hatte Vater Angst es könnte wieder so enden.
Conny anrufen ging leider nicht, sie hatte kein Telefon. Ein Telefon in der DDR zu bekommen war ein Unding. Entweder man war privilegiert, es war dienstlich notwendig oder man hatte einfach Glück gehabt. Vater hatte ein Telefon aus dienstlichen Gründen bekommen. Er hatte viel Unfallbereitschaft. Es war auch kein Telefon der Post, es gehörte der Reichsbahn. Die hatte ein eigenes Netz. Wollte man aus dem Bahnnetz in das der Post telefonieren musste ein Null vorgewählt werden. In das Bahnnetz rein zu telefonieren ging ohne Vorwahl. Die Telefonnetze waren total veraltet. Ich hatte immer so das unbestimmte Gefühl, die Regierung wollte den Ausbau und die Modernisierung der Netze gar nicht. Das hätte die Überwachung der Bürger nur noch schwerer gemacht. Aber egal damit musste ich mich nicht Silvester befassen. Wir schauten die Silvesterschau der ARD. ich freute mich des Lebens und war froh an so einem Tag keine Wache schieben zu müssen. Werner den alten Plattenschrank hatte es von den Uffzen. erwischt und einen Teil des zweiten Diensthalbjahres. Eine Viertelstunde vor Mitternacht gingen wir vor die Kompanie und reihten uns in die Kolonne, die um den Exerzieplatz zog. Das waren nicht nur wir E`s, die Zwischenschweine gingen ja auch 1981 nach Hause aber eben erst 81 II. Die Resis vom Sanitätsbataillon waren auch da. Aus hunderten Männerkehlen erklang der Ruf, nach Haus, nach Hause, nach Hause. Immer wieder von vorn und immer lauter. Hans Moni stand am vergitterten OvD Fenster. Er heulte wie ein Schlosshund. Der Zug blieb vorm Fenster stehen und tobte Hans Moni, Hans Moni. Er nestelte an seiner Pistolentasche. Pemsel trat hinzu und klopfte ihn beruhigend auf die Schulter. Ein Resi vom Sanitätsbataillon war inzwischen auf das Dach seiner Kompanie geklettert und spielte auf einer Trompete Il Silenzio. Wenn er auch nicht jeden Ton traf, es war einfach nur geil. Der Hof brodelte und tobte Zugabe, Zugabe. Keiner interessierte sich mehr für Hans Moni. Eine halbe Stunde ging das so. Langsam löste sich der Umzug auf. ich ging zu Chaleri aufs Zimmer und nahm die eine noch übrig gebliebene Schnapsflasche mit. Auf dem Zimmer von Chaleri saßen auch Springer und Zwischenschweine rum. Ich stellte die Wodkaflasche auf den Tisch. Auf einmal sagte einer der Springer, genau so eine haben sie mir gemaust. Chaleri schaute ihn an, wieso habe ich nichts davon erfahren, dass du Schnaps auf die Kompanie geschmuggelt hast. Der Springer wurde ruhig. Ich sagte zu ihm, na dann nimm erst einmal einen kräftigen Schluck bevor Chaleri dir heute noch den Kopf wäscht. Die gemütliche Feier endete offen, ein jeder ging ins Bett wenn ihm danach war.

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