Donnerstag, 14. April 2011

Kleiderordnung, Sprachgebrauch, Niedertracht und Gemeinheiten

Was man schon vor der Armee leise geahnt hatte, bewahrheitete sich ganz schnell. Wenn Freunde von der Armeezeit erzählten, im Urlaub oder nach ihrer Dienstzeit, klang das Erzählte wie aus einer anderen Welt herüber. Inzwischen konnte ich sagen, es klang nicht nur so, es war wirklich eine andere Welt. Das zeigte sich im ganzen Lebensbereich aber am Meisten im Sprachgebrauch. Es gab Bezeichnungen, welche durch irgendwelche Dienstvorschriften geregelt waren und es gab welche im täglichen Sprachumgang der Soldaten und Offiziere untereinander. Mitunter waren die Übergänge fließend. Aber fangen wir mit der Kleiderordnung an. Die unterschied sich grundlegend in die Sommer und Winteruniformen.
Die Sommeruniform gliederte sich wie folgt:
Dienstuniform               Ausgangsuniform
Die Dienstuniform war zweiteilige Uniform in Feldgrau. In die Jacke der Dienstuniform wurde eine Kragenbinde eingeknüpft, die täglich gewechselt werden musste. Das wurde zumindestens während der Ausbildungszeit kontrolliert. Wer es vergessen hatte sie zu wechseln wurde mit wenigstens einer Arbeisverrichtung außer der Reihe bestraft. Zur Dienstuniform gehörte ein graues Käppi in Form eines Schiffchens.  Dazu kam der ebenfalls zweiteilige Kampfanzug in der Tarnfarbe Grün (Ein Strich – Kein Strich) aus dünnem Baumwollstoff, ein paar schwarze Lederstiefel und ein graues Koppel. Auf der Koppelschnalle war das Emblem der DDR eingestanzt. Die Stiefel mussten täglich geputzt werden, die Brücke auf der Sohle ebenfalls.
Zur Ausgangsuniform gehörte eine Schirmmütze, ein Ausgangshemd, bzw. Bluse mit Binder, eine Ausgangshose und Jacke sowie die obligatorischen Schuhe aus Schweinsleder.
Im Winter kam zu der Ausgangsuniform noch ein Mantel und Stoffhandschuhe und eine Fellmütze.
Die Dienstuniform im Winter war die Gleiche wie im Sommer. Als Kopfbedeckung  trug man eine Kunstfellmütze im „freundlichen“ Mausgrau. Schuhwerk und Koppelzeug waren gleich mit der Sommeruniform. Dazu kam noch eine zweiteilige Wattekombi in Grün.
Für Arbeiten an den Fahrzeugen oder andere schmutzige Tätigkeiten gab es die Schwarzkombi. Das allerwichtigste Kleidungsstück waren die Hosenträger. Die waren soetwas von stabil, da konnte man auch seinen ganzen Frust ranhängen.  Begriffe in der Soldatensprache waren oftmals Unterschiedlich in den einzelnen Kasernen ohne dass der Sinn entstellt wurde. In der nachfolgenden Tabelle werden einige Begriffe erklärt. Die Tabelle erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit .

Soldatensprache

A
Abfahrt
Wegtreten
Abseilen
sich vor einer Arbeit drücken
Äppelklauerhosen
Reithosen ausschließlich für länger dienende Berufssoldaten und Offiziere
Affenschauke
Schützenschnur
Anschnitt
Ritual des dritten Diensthalbjahres zum Maßbandanschnitt 150 Tage vor der Entlassung
Asche
Umgangssprachliche Bezeichnung für die Armee ( Ich muss zur Asche )
Atombrot
Brot in Dosen für den Ernstfall
Atomino
selbstgebastelter Tauchsieder aus dem Behältnis für Klarsichtscheiben der Gasmaske.Waren streng verboten, da es zu tödlichen Unfällen kommen konnte, aber sehr gebräuchlich.
Aufkeulen
freiwilliges verlängern der Dienstzeit
Auf/ Abmumpeln
laden /entladen des Magazins mit Patronen

B

Bandmaßspringer
Soldaten die mit 27 Jahren zur Armee gezogen worden, da sie nur 6 Monate zur Arme gingen vereinten sie erstes und drittes Diensthalbjahr
Bärenfotze
Wintermütze der NVA
Batailloner
Bataillonschef

Batzen
Offizier
Bau
Gefängnis in der Kaserne
Blick zur Sonne
den Soldaten des dritten Diensthalbjahres anschauen dürfen oder andere sinnlose Belobigungen
Brandig
Durstig
Brennen
einen Trinken
Buckel
Offizier
Bunafett
ausgelassenes Schweinefett in der Kantine
Bunker
Gefängnis in der Kaserne

C

D
Dachs
Stinkedachs – zweite Diensthalbjahr
Das Kronentor sehen
bedeutete Fensterputzen für das erste Diensthalbjahr, der EK wollte das Kronentor vom Dresdner Zwinger sehen
Dienetod
mindestens 3- jähriger Berufsoldat
Drei Weltmeere
Waldmeer, Sandmeer, kann nicht mehr

E
E
drittes Diensthalbjahr
           Einstrich – Keinstrich
           grüne Dienstuniform mit kurzen braunen Streifen
Einzig wahrer E in seiner unendlichen Güte und Weisheit
Lobgesang eines Soldaten des dritten Diensthalbjahres aus sich selbst
Eisenschwein
veralteter Schützenpanzerwagen
EK
drittes Diensthalbjahr
EK – Kugeln
Ritual der EKs, eine Eisenkugel wird über den Gang gerollt
E-Ration
Eiserne Ration / Notverpflegung, Teil des Sturmgepäcks. Kekse die im Mund aufquollen
EU
Erholungsurlaub- dem Soldaten standen pro Monat Dienstzeit ein Tag Urlaub zu, der
wurde gedrittelt. Machte pro halbes Jahr 6 Tage. Diese wurden wiederum unterteilt in
4 Tage( EU ) 2 Tage ( KU ) Darüber hinaus konnte Sonderurlaub gewährt werden ( SU )

F
Fromser
Schutzanzug gegen atomaren, biologischen und chemischen Waffen
G

Gefechtsschlampe
liederlicher Soldat
Granaten
0,33 l Bierflaschen / kurz und gedrungen
Gurkenschalen
Umrandung der Unteroffiziersschulterstücke
GUvD
Gehilfe des Unteroffiziers vom Dienst
GOvD
Gehilfe des Offiziers vom Dienst

H
Hängolin
angeblich im Tee beigemischtes Trieb hemmendes Mittel
Höhe haben
unerwünschte, verbotene Dinge machen

Hüpfer(sächsisch Hüpper )
erstes Diensthalbjahr

I

Ich diene der Deutschen Demokratischen Republik
vorschriftsmäßige Erwiderung bei einer Belobigungen und Auszeichnung.Wurde oft ironisch verwendet, z.B. bei Bestrafungen

J
Jumbo
Schutzanzug gegen atomare – biologische und chemische Waffen

K
Kameradenbetrüger
großen braunen Trinkbecher der Soldaten
Kanadischer Winter
Schikane des ersten Diensthalbjahres – weißes Scheuermittel ( P3 ) das über Schränke Tisch und in den Flur gestreut wurde. Im Anschluss wurde Wasser darüber gekippt. Dann wurde gescheuert bis alles glänzte.
Kaschi
Kalaschnikow, Maschinenpistole der NVA
KDL
Kontrolldurchlass /Kasernentor
Keule
Bohnergerät
Komblekte/tag
Essen aus der Dose. Essen für den Ernstfall- Einmal im Monat gab es solches Essen.
Kristallnacht
Schikane des ersten Diensthalbjahres, alles was Glas und Porzellan war, wurde an den Wänden zerschlagen. Egal ob über Tischen, Schränke oder Betten.
KTP
Kontrollpunkt /Kasernentor
KU
Kurzurlaub
Küchenbulle
Chef der Küche

L
LMG
leichtes Maschinengewehr
Landser
Soldat

M
Maskenball
Schikane des ersten Diensthalbjahres
Med.Punkt  Schwester Elfriede
Arzt in der Kaserne
Mucker
Infanterist
Mumpel
Patrone
Musikbox
Schikane des ersten Diensthalbjahres- ein Soldat wurde in den Spind gesperrt. Es wurde ein 10 Pfennigstück in den Spind gesteckt. Der Soldat musste ein Lied singen. Weigerte er sich
wurde der Spind auf den Kopf gestellt.

N

O
Oma
schlauchförmiges Schaltuch das bei hohen Frostgraden über Kopf und Hals gezogen wurde, eines der praktischsten Kleidungsstücke
OvD
Offizier vom Dienst
Oswin
EK Tod

P
P3
Scheuermittel

Pickel
Sterne auf den Schulterstücken

Q

R
Resi – Reservist

S
Sackgang
Stress
Schildkröte
Schikane des ersten Diensthalbjahres, einem Soldaten wurden vier Stahlhelme an die Kniee und Ellenbogen gebunden, einen bekam er aufgesetzt. Dann wurde er über den Flur geschoben. Oft kam es zu bösen Verletzungen im Bereich der Halswirbelsäule.
Schnürsenkelgefreiter
Unteroffiziersschüler, wie der Gefreite hatten sie einen Querbalken auf ihren Schulterstücken, nur sah der wie ein runter Schnürsenkel   aus, in der Farbe der Waffengattung
Schnuffi
Gasmaske
Springer, Springschwein
erstes Diensthalbjahr
Spatensoldat
Waffenverweigerer, reguläre Einheit, bei Bedarf wurden auch normale Wehrpflichtige in die Truppe gezogen
Staubsauger
Schikane des ersten Diensthalbjahres, einem Soldaten wurde eine Gasmaske übergestülpt. Der Schlauch der Maske wurde vom Filter abgeschraubt. Der Schlauch wurde zugedrückt bis dem Soldaten die Luft wegblieb. Anschließend wurde der Schlauch über einem Aschebecher gehalten und das zudrücken
beendet.

T
Tage/dieb/sack
Unteroffizier
Treibhaus
Soldaten, Uffze., Offiziere die vor dem vorgeschriebenen Turnus befördert wurden
taumeln
nicht aufpassen

U

Uleu
Unterleutnant, dienten meistens 4 Jahre, war ein gut bezahlter und bei den Soldaten angesehener Posten / in der Regel waren es Abiturienten

V
V0
Verbindungsoffizier zur Staatssicherheit
VKU
verlängerter Kurzurlaub ( EU )

W

XYZ
Zwischen/schwein/hund
2. Diensthalbjahr

Zur Soldatensprache gehörten auch  Redewendungen. Die bekannteste war , der Oswin lauert überall. Mit anderen Worten der EK - Tod lauert überall. In dieser Redewendung steckte viel Wahrheit. Die Meisten die bei der Armee ihr Leben liesen, hatten es auch selber verschuldet. Gerade im dritten Diensthalbjahr war vieles zur Routine geworden. Man machte viele Arbeiten mechanisch, man wusste wie es ging und passte nicht mehr so sehr auf. Manch einem kostete es das Leben. Dieses Phänomen wurde noch durch eine gewisse Stumpfsinnigkeit bei bestimmten Tätigkeiten gefördert.  Vom ersten Diensthalbjahr an hieß es wachsam sein und mitdenken.


Offiziere auf der 3. Kompanie – und Spitznamen

Unterleutnant Leipziger – Ulei
Leutnant Luderer – Zapfenludi
Leutnant Nikolaus – Patschen
Oberleutnant Lück – der Lückenhafte
Oberleutnant Wetzel – VW
Major Roos – der Böse, Unhold, Pistolero, Lady Roos

Jeder Offizier bekam von uns seinen Spitznamen und nicht immer steckte schmeichelhaftes dahinter. Unterleutnant Leipziger war ein 4jähriger, eigentlich hätten wir Uleu  sagen müssen aber bei seinem Namen bot sich das Ulei förmlich an. Er war einer von den ruhigen Offizieren, der niemanden Stress machte und selber keinen Stress wollte. Er hielt sich so weit es ging aus Streitigkeiten und Saufgelagen raus. Er war der einzige Offizier auf der Kompanie, der auch in der Kompanie schlief. Er wird nicht älter wie ich gewesen sein. Vom Rang war er Zugführer.
Leutnant Luderer diente 25 Jahre. So alt mochte er in etwa auch selber sein. Ihm fehlte es stets und ständig an geistiger Frische. Mit einer unglaublichen Ignoranz tapste er in jedes Fettnäppchen welches auf dem Weg stand. Genau genommen taugte er bestenfalls zum Unteroffizier. Seine Sprache war ein merkwürdiges Gemisch aus verschiedenen Dialekten, werweiß wo der herkam. Sein Dienstrang war Zugführer.
Leutnant Nikolaus war ebenfalls ein Berufsoffizier und wird nicht viel Älter wie Zapfenludi gewesen sein. Seine Intelligenz  befand sich auf dem Niveau von Zapfenludi aber er war viel wacher und gerissener. Patschen war etwas größer wie ich und dicklich. Er wirkte absolut tapsig und unsportlich. Sein Gesicht erinnerte an ein Babyarsch mit zwei runden Kulleraugen. Sein Gesichtsausdruck war kindlich. Niemals hätte man etwas Böses dahinter erwartet. Aber er konnte richtig gemein werden und bösartig Stress machen. Er war für die technische Ausrüstung zuständig war.
Oberleutnant Lück war Schätzungsweise um die 40, ebenfalls Berufsoffizier. Er begleitete den Dienstrang eines Zugführers. Von ihm hieß es, er wäre der V0er. Er war ein EK – Freund und machte auch keinen Hehl daraus. Er war das Sammelbecken und die Speerspitze wenn es gegen den Major ging, das hatte was Menschliches und machte ihn bei uns Soldaten beliebt. Der Lückenhafte und Patschen waren befreundet und gnadenlose Trinker.
Politoffizier war Oberleutnant Wetzel. Außer der Uniform hatte er nichts Militärisches an sich. Er war um die 30 hatte aber das Gemüt eines Teenagers. Er wurde von seinen Offizierskameraden nur belächelt. Das Schönste an ihm waren die abstehenden Ohren. Auch ich hatte welche aber die von VW stellten alles in den Schatten.
Der Major, seine Spitznamen waren sein Programm, er war wirklich der oder das Böse.
Das einzig Menschliche an ihm war das Böse. Er hatte auch unter den Offizieren keine Freunde, aber viele die ihm nicht wohl gesonnen waren. Von anderen strengste Disziplin und blinden Gehorsam einfordernd, war er das beste Beispiel für absolute Disziplinlosigkeit. Befehle von Vorgesetzten waren in erster Linie für ihn da, um sich darüber hinwegzusetzen. Was sie an ihm schätzten und was ihn wahrscheinlich auch zum militärischen Führer befähigte, waren sein militärischen Kenntnisse und die Fähigkeit bei Fahrübungen und Manövern  die Vorgaben exakt umzusetzen. Die dritte Kompanie war das militärische Aushängeschild des Bataillons. Wenn er menschlicher gewesen wäre, hätte man sich so einem Offizier im Ernstfall anvertrauen  können. Aber den Ernstfall hätte er keinen Tag überlebt. Es gab genug auf der Kompanie die die Kugel für ihn schon gegossen hatten.
Interessant waren auch die Streitigkeiten der Offiziere untereinander. Man wurde da teilweise förmlich mit hineingezogen. Der Hauptfeind von Major Roos war nicht etwa der Klassenfeind jenseits des eisernen Vorhangs, nein, es war Hauptmann Winkler von der 2. Kompanie. Dieses Verhältnis beruhte auf Gegenseitigkeit. Hauptmann Winkler war in mancherlei Hinsicht ein Unikum. Er war der einzige Offizier den ich kannte, der einen Bart tragen durfte ( Schnautzer).  Bei der NVA gab es Vorschriften für Haarschnitt und Frisur. Diese galten gleichermaßen für Offiziere und Soldaten und diese besagten eindeutig, Bart tragen ist nicht. Warum er trotzdem einen trug musste er ja uns nicht erklären. Wenn einer von Beiden OvD hatte, machte er sich auf in die Kompanie des Anderen und versuchte sie aufzumischen. Ansonsten war er genauso ein Grobian und fulgärer Mensch wie der Major.
Eines Tages machte der Major wieder einmal Morgenappell. Er schrie rum, wo ist Oberleutnant Lück, der hätte an dem Tag 06.00 Uhr in der Kompanie seine sollen. Jetzt war es schon 08.00 Uhr. In dem Moment ging die Tür zur Kompanie auf und der Lückenhafte erschien. Er sah total brandig aus und sagte mit trunkicher Stimme, mojn Jungs. Während Roos tobte und schrie, Oberleutnant wo kommen sie jetzt her, nehmen sie Haltung an, machen sie Meldung, lies er den Major links liegen und ging auf sein Dienstzimmer. Wir waren begeistert. Roos stürmte dem Oberleutnant hinterher. Dort hörten wir ihn aufbrüllen, dem folgte ein kurzes aber kräftiges Klatschen, dann war Ruhe. Keine Minute später ging die Tür, der Major verließ das Dienstzimmer des Oberleutnants, seine Schirmmütze hatte er in der Hand. Der Oberleutnant stand grinsend hinter ihm.
Schnell bekamen wir mit, Berufssoldaten und Berufsoffiziere waren mehrheitlich aus unterschiedlichsten Gründen in das Bataillon strafversetzt worden und solche wie Roos hatten keine Chance woanders noch Dienst tun zu dürfen. Wie hieß es doch so schön, sie durften sich bewähren. Das hatte für uns auch gute Seiten. Wenn irgendwo und irgendwie Mist gebaut wurde, versuchten es die Offiziere unter den Tisch zu kehren, damit es kein schlechtes Licht auf sie abwarf oder ihr eigenes Versagen offenlegte.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen