Freitag, 25. März 2011

Judas


Nach der Vereidigung wurden die politischen Schulungen verstärkt. Uns wurde erklärt wir gehörten zur 4. Motorisierten Schützendivision (4.MSD). Der  Divisionsstab wäre in Erfurt. Die kampfstärksten Verbände dieser Division befänden sich in Bad Salzungen. Das wären Motschützenregimenter. Zu dieser Division gehört auch das 4. Panzerregiment in Gotha. Die Hauptaufgabe des TB 4 wäre es im Ernstfall das Panzerregiment 4 mit Schmier –  und Treibstoffen sowie Sprit zu versorgen. Da aber der Tatra nur begrenzt geländetauglich einsetzbar war, müsste der Sprit hinter der Frontlinie an kleinere Uraltanker abgegeben werden und diese brächten dann den Sprit in die vorderste Frontlinie.
Der Feind der uns gegenüberliegt wären die hessischen Eliteeinheiten der Bundeswehr. Wenn diese aus laufender Bewegung ( Manöver ) die DDR angreifen würden, käme der Angriff erst an der Oder – Neiße Grenze zum erliegen. Dieses müsse mit allen Mitteln verhindert werden. Aus diesem Grund würden Manöver oftmals auf  beiden Seiten gleichzeitig stattfinden. Ich versuchte solche Unterrichtsstunden zum Ausruhen zu nutzen und schaltete einfach ab. Bei der Erklärung warum der Soldat der sozialistischen Arbeiter und Bauernarmee ein politischer Soldat ist, fielen mir die Augen zu.
Nachdem wir vereidigt waren, wurde auch ein Rundgang durch das Gelände der Kaserne und in die Kompanien gemacht. Man erklärte uns während des Rundganges, die ehemalige Blumenthalkaserne ist in ihrer antifaschistischen Tradition in  Herman Danz umbenannt worden. In der Kaserne wären folgende Bataillone und Truppen untergebracht: Neben dem Transportbataillon befände sich da noch das Sanitätsbataillon 4, eine eigenständige Kompanie Feldbäcker und der Militärstaatsanwalt der Landstreitkräfte Süd. Im Gebäude der dritten Kompanie, also unserer Truppe, wären  noch die Militärkapelle und eine zivile Werkstatt der Sportschützen untergebracht. Der Pistolengriff des Olympiasiegers im Schnellfeuerschießen, Harald Vollmer, wäre hier gefertigt worden. Im Gebäude des Sanitätsbataillons befänden sich der Arzt und der Zahnarzt und in der Kaserne der Stabsoffiziere, wären noch die Funker untergebracht.
Auf unserer Stube tat sich auch einiges. Lutz Scheunert machte einen auf Fußlahm, das war eigentlich seine Sache und ich hatte Verständnis dafür. Wofür ich kein Verständnis hatte, waren seine Allüren. Er versuchte seine Stubenaufgaben auf Andere abzuwälzen. Bei einigen kam er damit durch. Eines Tages nahm mich Frank Spielvogel beiseite und meinte der versucht sich auf unsere Kosten einen Bunden zu machen. Ich habe ihn jetzt einmal gesehen, da wollte er seinen Vater am Kasernentor abholen und mit ihm in das Besucherzimmer gehen, da ist er wie ein Berserker zum KDL gerannt und hier jammert er uns vor er könne keinen Mülleimer runterschaffen, er könne keine Bohnerkeule schwingen und, und, und. Ich sagte zu Frank, das wird sich nächste Woche ändern, da bin ich der Stubenälteste. Ich scheuchte den lieben Lutz, das ihm hören und sehen verging.
Abends war wieder Stubenappell, ich macht Meldung. Werner hatte denkbar schlechte Laune und Heini hatte vergessen den Mülleimer runter zu bringen. Dann machte er noch Fußkontrolle ob wir sie richtig gewaschen hätten. Er hatte Andreas Steiger in der Mache, angeblich würden seine Füße vor Dreck stehen. Andreas hatte starke Beinbehaarung die Haare gingen bis auf den Fußrücken. Am nächsten Morgen wurden wir beim Morgenappell bestraft, ich als Stubenältester weil ich nicht richtig kontrolliert hatte, Heini wegen dem Papierkorb und Andreas wegen schmutziger Füße, mit drei Arbeitsverrichtungen außer der Reihe. Alles war wieder nur eine Farce. Die E’s hatten Druck gemacht, der Heizer brauchte Leute die ihm die Kohlen in den Kohlenbunker beförderten. Der Heizer schlief auf unserer Kompanie und war selber ein E. Das er auf unserer Kompanie schlief, war ein riesiger Vorteil für uns, das begriffen selbst wir Frischlinge bei Zeiten. Früh wurde unser Heizungsstrang gleich nach dem der Stabsoffiziere aufgedreht. Zum Wecken waren die Zimmer schon überschlagen. Noch wichtiger war der Heizer, wenn es ums warme Wasser ging. Laut Dienstvorschrift stand es uns einmal in der Woche zu. Wir hatten als einzige Kompanie jeden Tag welches, wenigstens zum Waschen und für die Zahnhygiene. Warm duschen war nicht. Das warme Wasser für die zwei Duschen reichte nicht für alle. Zuerst ging der E duschen, dann der Vize. Für uns blieb nur kaltes Wasser.
Jedenfalls mussten die gelieferten Kohlen schnellstens von der Straße in den Bunker, denn sie versperrten die Hälfte der Straße. Heini meinte lassen wir uns Zeit bei der Arbeit, dann nehmen sie das nächste Mal andere. Ich sah das etwas anders und dachte so bei mir, wenn du deine Arbeit ordentlich machst, lassen die dich in Zukunft damit in Ruhe. Also schaufelte ich in kürzester Zeit 5 Tonnen Briketts in den Bunker. Der Heizer bekam es genau mit, wer da schaufelte und wer nicht. Total begeistert meinte er, Müller ich werde dafür sorgen dass du ab Morgen jeden Tag hier erscheinst. Heini und Andreas grinsten und ich hätte mir am liebsten in den Hintern gebissen, wie konnte man nur so blöd sein. Im Nachhinein stellte sich raus, so verkehrt war die Sache gar nicht. Ich wurde von allen Arbeiten auf der Kaserne befreit. Während meine Kameraden sich mit dem Stubendienst und Pampelarbeiten rumplagen mussten, verschwand ich in der Heizung. Ein Zuckerschlecken war das auch nicht, es war körperlich eine sehr schwere Arbeit, aber ich hatte meine Ruhe. Niemand ging mir auf den Beutel. Nach dem die Kohlen im Bunker verschwunden waren, unterwies mich der Heizer in der Kunst des Heizens. Im Heizungskeller standen drei große Stahlkessel, jeder war Schätzungsweise  3 Meter hoch und 2,00 x 2,00 breit und tief. Zuerst musste Asche gezogen werden, eine unglaubliche Hitze schlug einem entgegen. Der Staub brannte sich in die Augen. Die Asche musste erst einmal erkalten ehe sie in die Tonnen konnte. In zwischen schaufelte ich die drei riesige Kohlenkarren zweimal voll und schüttete sie von oben auf das Feuer. Eine Kohlenkarre war mindestens so groß wie fünf normale Schubkarren. Im Anschluss mussten die Karren wieder gefüllt werden, damit der Heizer morgens gleich loslegen konnte. War diese Arbeit verrichtet musste die Asche in die Tonnen befördert werden. Eine dreckige, schmutzige Arbeit. Danach kamen die Tonnen an den Kranhaken und wurden nach oben befördert. Dort nahm ich sie ab rollte sie zum Mülltonnenplatz und nahm jeweils eine leere Tonne mit nach unten. Im Schnitt waren es fünf Tonnen. Nach getaner Arbeit war duschen angesagt. Die E`s standen schon im Waschraum und warteten aufs warme Wasser. Der Heizer der mit bürgerlichen Namen Nimitz hieß bekleidete mich mit in den Waschraum und sagte zu seinen E`s, Müller geht als erster duschen. Ein gewaltiges Spektakel begann, Müller du Springschwein, du hast wohl absolute Höhe brüllte Schleicher. Nimitz sagte zu ihm, lass ihn in Ruhe sonst schippst morgen du die Asche. Beide kriegten sich in die Haare.  Nimitz zeigte wer den längeren Arm hatte und meinte zu den E`s, wenn ihr morgen kein warmes Wasser habt könnt ihr Euch bei Schleicher bedanken. Wohl oder übel ließen mich die E`s in Ruhe. Nach dem duschen sagte ich zu Schleicher, bis zum nächsten Mal Schmittchen. Wütend schmiss er mir die Seife hinterher. Voller Spott rief ich und treffen kann er auch nicht. Ich musste jetzt jeden Tag nach Dienstschluss antraben um die Heizung auf Vordermann zu bringen. Nimitz hatte die Dusche die sich für den Heizer im Keller befand reparieren lassen. So gehen wir jedem Ärger aus dem Weg und du hast deine Ruhe, meinte er und  hatte Recht.
Nimitz und der Gefreite Neubert waren die ältesten Soldaten auf der Kompanie. Sie zählten zu den wenigen Soldaten die nicht aus dem Bezirk Dresden kamen. Nimitz war Thüringer und Neubert kam aus dem Bezirk Karl – Marx – Stadt. Beide wurden kurz vor der Vollendung des 26. Lebensjahres gezogen und gingen nun straff auf die 28. Der Buschfunk hatte es schnell verbreitet, beide hatten als 18 – jährige im Knast gesessen, wegen versuchter Republikflucht. Ich staunte, was die Roten alles zur Armee zogen, das war schon paradox.
Abends kam Uffz. Werner auf die Stube und brüllte wo ist Soldat Massi. Lutz war wegen nichts zu einer Arbeitsverrichtung außer der Reihe verknackt worden, musste aber für Nimitz einen Weg erledigen. Ich sagte zu Werner, ich übernehme die Arbeit für Soldat Massi er ist für Nimitz einen Weg erledigen. Diese Äußerung von mir hatte ungeahnte Folgen. Am nächsten Tag ging ich in Trainingsachen ( allgemeine Freizeitbegleitung ) gerade die Treppe in der Kompanie herunter, als mir Nimitz wütend entgegenkam und mich fragte wo ist der Massi das alte Springschwein? Der hat mich bei Werner verpfiffen. Ich sagte zu ihm, dich hat niemand verpfiffen. Werner hat Massi gesucht und ich habe gesagt er ist für dich einen Weg erledigen, das war alles. Er starrte mich an und ansatzlos schlug er mir die Faust ins Gesicht. Ich flog gegen die Wand. Meine Lippe war aufgeplatzt und schwoll an. Fassungslos sagte ich zu ihm, das hast du nicht umsonst gemacht, ihr denkt wohl mit uns könnt ihr alles machen. Ich mache jetzt Meldung, aber nicht beim Major, ich gehe in den Stab, du weist ja wie es im Knast ist, aber Schwedt ( Armeeknast )  soll ja noch ein ganzes Stück schärfer sein. Ich drehte mich um und ging Richtung Zimmer. Nimitz stand wie angewurzelt. Auf der Stube befanden sich 3-4 Mann. Spielvogel Frank sagte, Mensch wie siehst du denn aus. Wortlos zog ich mir die Dienstuniform an und wollte gerade in den Stab gehen. Da ging die Türe auf, Nimitz trat ein, kalt sagte ich zu ihm, was willst du hier, verschwinde. Nimitz sagte, ich will mich bei dir entschuldigen. Ich gebe dir meine ganzen Zigaretten und den Rest meines Soldes. Er legte alles auf den Tisch. Ich habe eine Frau und zwei Kinder zu Hause. Ich sagte zu ihm, eigentlich hast du das schon vor deiner Aktion gewusst, steckte mir eine Schachtel Zigaretten ein und zog meinen Trainingsanzug wieder an. Den Rest kannst du wieder mitnehmen. Er sagte Danke. Keiner lachte, niemand fragte und ich sagte nichts. Trotzdem wusste am Abend die ganze Kompanie, was passiert war. An diesem Abend brachte er mir noch zwei Flaschen Bier rüber.
Am nächsten Tag waren wieder Politschulungen auf dem Dienstplan, Leutnant Luderer wollte unter anderen eine FDJ – Versammlung abhalten. Einige meinten beim Morgenappell sie wären nicht in der FDJ. Der Kompaniechef wollte es genau wissen und brüllte schon wieder rum, die Soldaten vom ersten Diensthalbjahr die behaupten nicht in der FDJ zu sein sollen einen Schritt vortreten. Danach jagte er Oberleutnant Lück los, die Kaderakten holen. Er verglich die Aussagen der Soldaten, mit denen die sie bei der zweiten Musterung gemacht hatten. Bei nur einem stimmten beide Aussagen überein und der eine war ich. Erbost meinte er, sie schon wieder Müller. Treten sie heraus und stellen sie sich zu den andern vom zweiten und dritten Diensthalbjahr. Mit ihnen befasse ich mich gesondert. Die Kompanie trabte ab in den Versammlungsraum. Wir fünf  Nicht – FDJ mussten den Flur kehren. Es war mir eine tiefe und innere Befriedigung, das sich daran auch die drei E’s und der eine Vize beteiligen mussten.
Inzwischen hatten wir den Ersten von achtzehn Monaten hinter uns, der Dezember senkte seine Schatten hernieder. Wir vom ersten Diensthalbjahr mussten nun lernen, was alles in Teil 1 und Teil 2 hineinkommt und wo genau welches Gepäckstück zu sitzen hat. Das Packen üben wurde auf dem Flur der Kompanie durchgeführt. Gefreiter Neubert schlich mehrmals über den Flur und meinte zu uns: Ein deutscher Soldat fällt niemals im Krieg, er schleppt sich zu Tode. Wenn ich das Gepäck betrachtete, konnte ich ihm nur recht geben. Immer und immer wieder packten wir das Zeug, wie Essgeschirr, Schreibzeug, Unterwäsche, usw. ein und aus. Für eine kleine Revolte sorgte der Umstand, dass wir einen frankierten Briefumschlag mit der Heimatadresse einpacken mussten. Das sie nicht einmal 20 Pfennige für den Fall der Fälle übrig hatten.
Ein Schund für uns war das Legen der Zeltplane mit dem Zubehör. Die Zeltplane wurde wie ein offenes Viereck über das Teil 1 gebunden, dabei mussten die nach unten gebogenen Seitenstücke gleich lang sein. Das ließ sich aber nur bewerkstelligen, wenn die festen Zubehörteile die in der Zeltplane  eingewickelt waren an der richtigen Stelle lagen und nicht herausfallen konnten. Neubert sah mir zu, wie ich mich mühte und lächelte dabei. Er meinte, Junge so wird das nie was, das musst du alles ganz anders machen. Er zeigte mir die Tricks und siehe da es war alles kein Problem mehr. Uffz. Werner brüllte rum, Gefreiter Neubert verschwinden sie, lassen sie die Soldaten in Ruhe. Neubert gab ihm die Antwort, Werner du dummer Tagesack halt die Klappe, du taugst doch zu nichts außer zum rumbrüllen. Werner ging zum Major und wollte sich beschweren. Roos kam gerade aus seinem Dienstzimmer und Werner machte Meldung. Roos seine Antwort war vernichtend für Werner, lassen sie den Gefreiten in Ruhe, der weiß mehr über Fahrzeugtechnik, wie sie jemals in ihrem Leben wissen werden. „Taktvoll“ wie der Major war brüllte er es so laut das es jeder hören konnte. Der Spott war Werner gewiss.
Teil 1 und 2 kamen auf den Spind zur Gasmaske und dem Stahlhelm, wobei das Teil 2 nur vorübergehend da lag. Wenn wir unsere Fahrzeuge übernommen hatten, sollte es dann in der Fahrerkabine deponiert werden.
Der zweite Montag im Dezember kam heran, Tag der Parteiversammlung. Bei uns aus dem Zimmer war ja keiner in der Partei. Meine Kameraden konnten sich dem Stubendienst widmen. Ich zog mir meine Schwarzkombi über und wollte gerade in den Heizungskeller verschwinden. Da wurde die Tür aufgerissen, Scholz Frank, inzwischen unser Stubenältester, rief Achtung als der Major eintrat. Sofort polterte Roos, Soldat Scheunert brauchen sie eine Extraeinladung wir warten nur auf sie. Betroffen schauten wir uns an, nicht das wir gegen einen Genossen generell etwas hatten, aber gegen so einen schon. Ich hatte ihn gefunden meinen wahren Feind, da brauchte ich gar nicht über die Grenze zu schauen. Solche miesen Typen gab es überall und jetzt hatten wir auch so einen auf dem Zimmer.

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