Mittwoch, 23. März 2011

Der erste November




Früh gegen 5.00 Uhr bimmelte der Wecker. Es war wie eine Erlösung. Ich hatte die letzte Nacht sehr schlecht geschlafen. Es war mehr so eine Art Wachschlaf und hatte mich eigentlich nur im Bett rumgewälzt. Conny murmelte nun ist es soweit. Noch nicht ganz sagte ich und bracht Conny noch einmal voll in Fahrt. Obwohl wir nicht viel zeit hatten genossen wir es so richtig, wer weiß wann wir das nächste Mal Zeit zum Genießen finden würden. Danach sprang ich aus dem Bett und machte mich fix im Bad frisch. Conny meinte, ich bleib noch ein bisschen liegen ich brauch heute Morgen nicht so zeitig auf Arbeit.  Ich wollte nicht dass Conny mit nach Radebeul kam. Theatralische Abschiede waren nicht mein Ding. Inzwischen war Vater aufgestanden. Ich rief das Bad ist frei, Conny geht später. Er wünschte mir alles Gute, pass auf dich auf Junge. Wird schon wärn, mit der Mutter Bärn, sagte ich und viele Grüße an Tobias, der schlief noch schön. Er musste heute in die Berufsschule.
Ich ging zu Conny ins Zimmer mich verabschieden und sagte pass gut auf dein Bauch auf. Und du auf dich, sagte Conny und komm gesund wieder. Wir drückten und küssten uns, dann machte ich los, schnappte meine Tasche und stürmte die Treppe runter. Meine Gefühlswelt spielte verrückt. Ich verdrängte den Abschied und sagte mir,  jetzt geht’s los, jetzt wirst du ein richtiger Kerl. Auf dem Bahnsteig vielen mir etliche junge Männer mit Reisetasche auf. Wo konnten die so früh schon mit dem Personenzug hin wollen, eigentlich nur zum Stellplatz. Fahrkarte brauchte ich keine kaufen, der Einberufungsbefehl diente als Fahrkarte. Stolz zeigte ich ihn dem Kontrolleur. Circa 20 Minuten dauerte die Fahrt nach Radebeul. Als ich Ausstieg verschlug es mir die Sprache. Eine unübersehbare Menschenmenge wogte auf dem Bahnsteig. Der größte Teil der neuen Rekruten wurde von Angehörigen dahin gebracht, bei Einzelnen kamen sogar Oma und Opa mit. Bloß gut das ich Conny zu Hause gelassen hatte. Ich brauchte eine halbe Stunde ehe ich die richtige Truppe gefunden hatte. Ich zeigte dem anwesenden Offizier meinen Einberufungsbefehl und fragte, Herr Offizier bin ich hier richtig? Der neben ihn stehende Uniformierte belferte sofort los. Das heißt Genosse Oberleutnant, merken sie sich das gefälligst, Genosse Soldat und damit sie wissen mit wem sie es zu tun haben ich bin Unteroffizier Penndorf und mit Genosse Unteroffizier ( Uffz )anzureden. Haben sie mich verstanden. Bieder antworte ich jawohl, Genosse Unteroffizier und dachte du Sackgesicht.
Ihren Namen, brüllte er weiter. Thomas Müller sagte ich.
Er - was Äpfel, Panzer, Birnen.
Ich – Soldat Thomas Müller, Genosse Unteroffizier.
Na also geht doch, er schaute auf seine Liste und hakte meinen Namen ab.
Ich stellte mich zu den Anderen und harrte der Dinge die da kamen. Unter uns mischten sich wieder die Angehörigen meiner neuen Kameraden. Auf einmal rief der Oberleutnant. Alles mal herhören. Bevor wir losmarschieren, werde ich erst einmal ein paar grundsätzliche Dinge erläutern. Sie sind ab heute Soldaten des Transportbattalions 4 und unterstehen seit Null Uhr der Militärgerichtsbarkeit. Das heißt Alkohol ist für sie im Dienst ein absolutes Tabu. Wer Alkohol bei sich führt hat ihn abzugeben, jetzt und hier. 2, 3 Leute waren wirklich so dumm und rückten ihre Flaschen raus. Der Unteroffizier der mich so angeschnauzt hatte rief, jetzt werden wir mal Taschenkontrolle machen und die Ehrlichkeit der Genossen Soldaten  prüfen. Die drei anwesenden Uffze stürzten sich auf die ersten Taschen. Ich schaute mir das erst einmal an. Tatsache sie kontrollierten alle Taschen und hatten auch schon die ersten Flaschen Schnaps und Bier hochgezogen. Triumphierend hielten sie die Flaschen in die Höhe. Ich dachte was für armselige Kreaturen und öffnete  meine Reisetasche. Sie beugten sich unmittelbar vor mir über die nächsten Taschen. Auf diesen Moment hatte ich gewartet. Ich nahm in aller Ruhe meine Flasche Schnaps heraus und gab sie einem der Angehörigen meiner Kameraden. Ringsrum lachte alles, jeder hatte es gesehen, außer den eifrigen Kontrolleuren. Verwundert schauten sie auf, aber sie konnten sich nicht erklären warum die Leute lachten. Einer meiner neuen Mitstreiter, holte ebenfalls seine  Flasche Schnaps heraus, öffnete sie vor dem Uffz. und nahm einen gewaltigen Hieb aus der Flasche. Ehe der verdatterte Uffz. etwas sagen konnte wanderte die Flasche durch die Reihen. So kam ich morgens 9.00 Uhr zu meinem ersten Schnaps. Als sie mit der Kontrolle fertig waren, steckte man mir die Flasche heimlich wieder zu. Einer der Uffze. brüllte in Zweierreihe anstellen ohne tritt marsch zu Wagon 11 und 12, davor warten. Dort angekommen verkündete der Oberleutnant die Verhaltensregeln im Wagon und rief zum Schluss, Uffz. Penndorf weitermachen. Dieser strahlte wegen der namentlichen Erwähnung wie eine Fettbemme und brüllte:
Sie können jetzt tränenreich Abschied von ihren Angehörigen nehmen und spätestens in 10 Minuten möchte ich sie im Wagon sehen. Was für ein Theater dachte ich, stieg ein und setzte mich auf die dem Bahnsteig abgewande Seite. So langsam füllte sich der Wagon, ich fühlte mich nicht besonders, hatte ja dazu noch eine schlechte Nacht gehabt. Die Uffze. gingen noch einmal durch und verglichen ihre Listen, man merkte ihnen die Erleichterung an als sie feststellten niemand fehlt. Gegen 10.00 Uhr rollte der Zug langsam los, na endlich dachte ich und strich in Gedanken, schon mal den ersten Tag. Viele Rekruten schauten aus den Fenstern und winkten ihren Verwanden, bis niemand mehr zu sehen war. Über irgendwelche Nebengleise gelangte der Zug nach Riesa. Hier stieg nochmals ein großer Schwung frischer Rekruten ein. Ich schaute wo unsere Vorgesetzten abgeblieben waren. Sie saßen in einem extra Abteil, die Türe war geschlossen und die Gardinen zugezogen. Vorsichtig versuchte ich einen Blick zu erhaschen und sah, wie sie eifrig an der Schnapsflasche hingen, die sie einem Soldaten weg genommen hatte. Diese verlogenen  Arschköpfe, ich ging zurück in meinen Wagon und erzählte es den unmittelbar in meiner nähe Sitzenden. Daraufhin öffnete der erste seine Schnapsflasche und ließ sie greisen. Von Riesa bis Leipzig brauchten wir über eine Stunde. Jeden anderen Zug mussten wir passieren lassen. Die Signale standen mehr auf Rot wie auf Grün. In Leipzig selber standen wir nicht allzu lange. Da der Bahnhof ein Sackbahnhof war, hängten sie eine neue Lok an und ab ging es. Nur nicht nach Erfurt sondern,  Richtung Halle. Da war ich mal gespannt was das werden sollte. Von Leipzig nach Halle war es nicht allzu weit und es ging relativ zügig voran. Aber in Halle standen wir über eine Stunde. Die knappe Hälfte der Rekruten stieg aus und jede Menge Neue stiegen ein. Die Uffze. kontrollierten wieder die Anwesenheit. Dann zuckelte der Zug am Südharzrand lang bis Nordhausen. Langsam gingen der Alkohol zur Neige, es wurde Zeit das wir nach Erfurt kamen. 17.00 Uhr lief der Zug endlich in den Erfurter Hbf ein. Wir verließen den Zug und in Zweierreihe marschierten wir zu den Lkws. Es standen drei Tatra – Pritschen bereit, flugs kletterten wir hinauf. Nach einer gefühlten viertel Stunde hielten die Tatras vor einem Kasernentor. Obwohl ich von dem Alkohol ganz schön breit war, bekamen alle Lebensgeister in mir einen neuen Schub. Langsam fuhren die Lkws durchs Kasernentor. Als der Letzte durch war schlugen die Wachsoldaten mit riesigem Schwung das Tor zu, es plautzte gewaltig. Die Wachsoldaten brachen in einen riesigen Jubel aus, an den Fenstern hingen das zweite und dritte Diensthalbjahr und veranstalteten einen gewaltigen Radau. Sie hingen ihre Maßbänder zum Fenster heraus und brüllten immer wieder Springschweine, Springschweine. Die Lkws fuhren um den Exerzierplatz  und hielten vor einer Kaserne. Wir mussten absitzen, aus der Kaserne kamen Offiziere gelaufen, das zweite und dritte Diensthalbjahr verschwand von den Fenstern. Die Offiziere gaben irgendwelche Anweisungen an die Unteroffiziere, wir wurden in verschiedene Gruppen eingeteilt. Als Führer meiner Gruppe bekamen wir Uffz. Penndorf zugeteilt. Wir wurden in einen Versammlungsraum geführt, unsere Taschen blieben bei den Lkws. Zuerst wurden uns die Stabsoffiziere vorgestellt. Chef des Bataillons war Oberstleutnant Benz, ein kleiner drahtiger Offizier.  Dann hielt einer von denen eine Rede die war so etwas von daneben, das es einen schüttelte. Er stellte sich vor, Major Schmalz- wie Fett und lachte sich halbtot über seinen blöden Witz. Wenn er wenigstens gesagt hätte ich heiße wie ich aussehe, da hätten  wir was zu lachen gehabt. Der Inhalt seiner Rede bezog sich auf die EK-Bewegung. Das wären im Großen und Ganzen nur üble Gerüchte. Das kann nicht anders sein, da EK Erfahrener Kämpfer heißt. Andere Deutungen der Buchstaben wären falsch. In einer sozialistischen Arbeiter und Bauernarmee kann es nur erfahrene Kämpfer und Soldaten geben die als Gemeinschaft auftreten aber niemals Entlassungskandidaten, da jeder Soldat Reservist wird und somit Angehöriger der NVA bleibt. In diesem Stil laberte er noch eine ganze Weile. Mir zog es die Augen zu. Auf einmal hieß es aufstehen und raus treten. Wir schnappten unsere Sachen und trabten Uffz. Penndorf hinterher, in die nächste Kompanie, dritte Etage. Hier empfing uns das wahre Soldatenleben, hier empfing uns das, was es laut dem fetten Schmalz nicht gab, die EK-Bewegung. Unter dem Geschrei des zweiten und dritten Dienstjahres führte Penndorf uns aufs Zimmer. Als erstes bläute er uns ein, wer sich von einem EK zur Arbeit anstellen lässt, den bestraft er persönlich. Der hatte gut reden, dachte ich so bei mir, soll er doch den EK bestrafen. Dann erklärte er wir wären im TB 4 und gehörten zur dritten Kompanie des Majors Roos zum zweiten Zug des Oberleutnants Lück und zur ersten Gruppe des Uffz. Penndorf. Das ließ sich eigentlich gut merken. Alles Weitere würden wir bei der theoretischen Grundausbildung erfahren. Die gesamte Grundausbildung ginge sechs Wochen. Heute wären noch die Arztuntersuchung und das Klamottenfassen angesagt. Als nächstes bekamen wir Spind und Bett zugewiesen und quetschten erst einmal unsere Reisetaschen in den Spind. Vorher nahm ich noch das Vorhängeschloss aus der Tasche um meinen Spind verschließen zu können. Im Einberufungsbefehl hatte gestanden was wir alles mitbringen mussten, eben unter anderem dieses Schloss. Ich hatte gleich das Schloss von meinem Arbeitsspind mitgenommen. Dann hieß es schon wieder, raus treten, in Zweierreihe antreten und abrücken zum Arzt. Dass ganze Prozedere dauerte seine Zeit, ich ließ es völlig desinteressiert über mich ergehen. Kurz nach 24.00 Uhr war der Augenarzt dran. Er zeigte auf ein erleuchteten  kleinen Kasten mit einer Milchglasscheibe. Auf dieser Scheibe waren Burgen abgebildet. Er wollte von mir die räumliche Aufteilung wissen. Mich interessierte es nicht, ich war nur müde, der Alkohol wich so langsam aber sicher und so ordnete ich die Sachen willkürlich. Hauptsache ich war durch. Anschließend  ging es noch Sachen fassen. Das hatte man ganz vernünftig gelöst. Auf dem Gang in der Kaserne waren ca.10 verschiedene Stationen aufgebaut. Diese hatte man mit den Soldaten des zweiten und dritten Diensthalbjahres besetzt. An den einzelnen Stationen fasste jeder seine Sachen aus. An der ersten bekamen wir eine Zeltplane in die Hand gedrückt. Diese schleiften wir hinter uns her. An der nächsten Station angelangt ging es, Größe, kurz anhalten, passt, passt nicht, ab zur nächsten Station. Die erhaltenen Sachen schmissen wir auf die Zeltplane. Die EKs waren sauer noch so spät arbeiten zu müssen und dementsprechend mürrisch. Bis Nachts 03.00 Uhr räumten wir erst einmal provisorisch unseren Spind ein. Penndorf meinte gute Nacht Genossen Soldaten. Morgen 6.00 Uhr ist wecken. Von uns kam ein müdes Guten Nacht Genosse Unteroffizier. Ich dachte nur noch schlafen.

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