Mittwoch, 23. März 2011

Der große Zampano

Am nächsten Morgen Punkt Sechs heulte eine Sirene los, wir standen in den Betten. Die Lautstärke war der blanke Wahnsinn, als ob man direkt neben einer Feuerwehrsirene stehen würde. Aber wir hatten gar keine Zeit darüber nachzudenken, schon wurde die Tür aufgerissen und Uffz. Penndorf schrie raus treten zum Frühsport. Ich beeilte mich, das ich den Trainingsanzug über bekam. Als ich die Turnschuhe anziehen wollte, bemerkte ich das Malheur, sie hatten mir zwei Linke gegeben. Ich ging zu Penndorf und wollte ihm die Turnschuhe zeigen. Als ich ihn Ansprach tickte er gleich wieder aus und brüllte, ihren Namen.
Soldat Müller, brüllte ich zurück.
Erstaunt schaute er mich an, Genosse Soldat glauben sie ich bin taub.Wenn sie einen Vorgesetzten sprechen wollen fragen sie ihn ob er das überhaupt möchte. Das heißt für sie, Genosse Unteroffizier gestatten sie, dass ich sie spreche? Haben sie mich verstanden?
Jawohl, Genosse Unteroffizier.
Genosse Unteroffizier gestatten sie, dass ich sie spreche?
Das klingt schon besser Genosse Soldat, was ist ihr Anliegen?
Während ich es ihm erklärte, dachte ich bei mir ist der so blöd oder tut der nur so, der kommt sich vor wie ein General. 
Er meinte, Müller zum Frühsport ziehen sie ihre Ausgangsschuhe an.
Penndorf brüllte im Laufschritt marsch. Wir trabten hinter her. Vor der Kaserne begann er mit gymnastischen  Übungen. Er turnte vor und wir machten es nach. Im Anschluss waren 3000 Meter angesagt. Die rannte der zum dicklichen neigende Uffz. natürlich nicht mit. Nach 1000 m konnte ich vor Schmerzen kaum noch laufen, die Ausgangsschuhe rieben gewaltig an den Fersen. So kam es das ich der Letzte beim Lauf war. Penndorf brüllte, na Müller da ist ihnen wohl die Luft weggeblieben.
Böse sagte ich, einer muss ja der Letzte sein. Zu jeder Dummheit gab es noch eine Steigerung und die brüllte mich von der Seite an. Da war Penndorf ein Waisenknabe dagegen. Genosse Soldat, was nehmen sie sich raus, wie reden sie mit Uffz. Penndorf. Ich schaute den alten Plägsack  an und fragte, wer sagt mir das? Seine Augen traten aus den Höhlen, er schnappte nach Luft, einige Soldaten feixten. Dann wurde ihm bewusst, dass er ja im Trainingsanzug dastand. Ich konnte es also wirklich nicht wissen. Er brüllte wie ein Stier, Uffz. Werner, merken sie sich meinen Namen. Treu und brav antwortete ich, jawohl Genosse Unteroffizier.
Im Anschluss ging es auf die Zimmer, Penndorf meinte ab zur Morgentoilette, Bettenbau und in 10 Minuten raus treten zum Frühstück. Ich hatte mir riesige Blutblasen gelaufen. Wieder trabte ich zu Penndorf und machte Meldung. Er schaute sich die Blasen an und sagte, Müller nach dem Morgenappell  gehen sie in den Med – Punkt. Soldat  Franke vom 2. Diensthalbjahr wird sie mitnehmen, sie sind bis auf weiteres vom Stiefeltragen befreit.
Ich brauchte natürlich mehr wie die 10 Minuten, diesmal war Penndorf nachsichtig. Wir marschierten zum Frühstück. Ich in meinen privaten Straßenschuhen. Vor der Küche ließ Uffz. Werner halten und meinte für das Essen gibt es 20 Minuten. Ich dachte prima eine angenehme Zeit. Wir stellten uns im Speisesaal am Küchenbuffet an. Auf einmal kamen das zweite und dritte Diensthalbjahr der zweiten und ersten Kompanie. Sie liefen an uns vorbei und wir waren die Letzten in der Schlange, Uffz. Werner schaute weg und wir hatten keine Chance. Nach einer viertel Stunde hatten wir unser Essen gefasst. Ich setzte mich  und schmierte mir mein Brötchen mit Butter und Marmelade. Ich hatte noch nicht einmal die eine Hälfte des Brötchen runter geschluckt, da brüllte Werner, Essen ein stellen und raus treten. Ein Proteststurm brach los, Werner fing wieder an rumzubrüllen, meutern sie nicht herum und treten sie raus, die 20 Minuten sind längst um. Ein Gefreiter  sagte zu ihm, Werner du Tagessack schrei hier nicht so rum. Werner ging raus. Wir traten in Zweierreihe an und ohne Tritt marsch ging es zurück in die Kaserne. Kaum angekommen hieß es raus treten zum Morgenappell. Diese Befehle wurden mit einer Trillerpfeife vorangekündigt. Während die älteren Diensthalbjahre sich locker hinstellten, wurden wir von den Unteroffizieren nach Größe ausgerichtet. Den Gefreiten ging es gewaltig auf den Zünder, das die Unteroffiziere soviel Unruhe mit brachten. Einer der Gefreiten sagte zu Uffz. Penndorf, verschwinde hier. Uffz. Penndorf lief rot im Gesicht an und plusterte sich mächtig auf. Der Gefreite guckte ihn kalt an und sagte, du brauchst mal wieder die Schwarzdecke. Während ich überlegte was er damit meinte, rief einer der Uffze. Achtung Major Roos ist im Anmarsch. Der Streit war beendet, die Türe ging auf, ein Uniformierter trat ein. Der Unteroffizier brüllte Aaachtung!!! Genosse Major die dritte Kompanie mit sechs Unteroffizieren, 20 Gefreiten und 42 Soldaten ist zum Morgenappell angetreten. Der Major fragte wo die Offiziere sind, der Unteroffizier schüttelte den Kopf und meinte es wären noch 10 Minuten Zeit bis zum Dienstantritt. Ach was meinte der und winkte ab. Während ich den Major musterte trudelten drei Offiziere ein. Sieh an dachte ich, der eine war der Oberleutnant von Gestern, der uns in Radebeul abgeholt hatte. Der Major sagte zu den Offizieren, nach dem Morgenappell zu mir ins Dienstzimmer. Dann brüllte er Guten Morgen Genossen Unteroffiziere und Soldaten. Die Kompanie rief zurück, Guten Morgen Genosse Major. Dann stellte er sich uns Neuen vor und meinte er wäre Major Roos, der Kompaniechef. Die Offiziere wären Oberleutnant Lück und Leutnant Luderer, beide Zugführer. Leutnant Nikolaus wäre der Offizier für die technische Ausrüstung. Dann legte er richtig los.
Die neuen Rekruten könnten anscheinend nicht lesen, im Einberufungsbefehl steht, es ist im militärisch korrekten Haarschnitt zu erscheinen, aber sie rennen hier rum wie Zündis und Mopedisten. Ein Spruch den wir noch öfters hören sollten. Die älteren Diensthalbjahre lachten.
Ruhe im Glied, brüllte der Major.
Da ist schon lange Ruhe, meinte irgendjemand. Die Kompanie bekam sich vor lachen kaum ein. Der Major brüllte wie von der Tarantel gestochen, wenn nicht sofort Ruhe ist, gibt es Dienst nach 18.00 Uhr. Augenblicklich wurde es ruhig. Der Major meinte nur noch, das erste Diensthalbjahr geht heute noch zum Friseur, ansonsten Dienst nach Plan. Unteroffiziere übernehmen und Offiziere zu mir ins Zimmer.
Uffz. Penndorf schickte mich und Franke zum Med – Punkt. Ich fragte Franke auf dem Weg Löscher in den Bauch, unter anderem wollte ich wissen ob das hier immer so abläuft. Franke winkte ab, das wird alles nicht so heiß gegessen wie es Aussieht. In drei – vier Wochen hast du dich an das Theater gewöhnt und dann findest du gar nichts mehr dabei. Der Med – Punkt befand sich in der Kaserne unmittelbar neben dem Kasernentor. Franke meinte hier ist auch der Zahnarzt untergebracht und eine Kompanie Sanitäter, die besteht zu 90 % aus Reservisten, da machst du noch als EK den Pampel. Das stellte ich mir grausam vor. Beim Arzt war warten angesagt, diesmal störte es mich nicht. Ich hätte auch 1 ½ Jahre da gesessen
wenn mich der Arzt nicht reingerufen hätte. Ich sagte Guten Morgen Herr Doktor. Er sagte zu mir er wäre nicht der Doktor, er ist der Feldscher und vom Dienstgrad Fähnrich. Ich wollte militärisch Grüßen, er winkte ab und meinte lassen sie das, hier sind sie im Behandlungsraum. Es fiel mir wieder ein, bei der NVA hatten sie vor ungefähr einem Jahr Fähnrich Dienstgrade eingeführt. Damit die unteren Dienstränge noch einen Anreiz zum Längerdienen hatten. Er schaut sich die Blasen an und meinte die sind beachtlich, ich schreibe sie eine Woche Innendienstkrank, keine Stiefel. Dann schmierte er mir irgendwelche Salbe drauf, klebte ein Stückchen Verbandsmull drüber und meinte Morgen sind sie wieder hier, dabei füllte er einen Zettel für den Gruppenführer aus. Auf der Kompanie angekommen machte ich bei Uffz. Penndorf Meldung und wollte ihn den Schein vom Feldscher geben. Penndorf meinte, Müller sie werden in die zweite Gruppe versetzt zu Uffz. Werner. Ihr Augentest ist nicht optimal ausgefallen. Packen sie ihre Sachen und ziehn sie um. Ich meldete mich bei Uffz. Werner und gab ihm die Bescheinigung. Der meinte da kommen sie gerade recht, ich werde ihnen jetzt zeigen, wie der Spind richtig eingeräumt wird.
Sie hatten uns einen Musterspind gezeigt, er gehörte einem Gefreiten. So akkurat  gestapelte Wäsche hatte ich noch nie gesehen, nicht einmal bei Mutter und die legte großen Wert auf ordentlich eingeräumte Schränke. Ich staunte nicht schlecht und dachte nur oje, wie sollst du das nur hinbekommen. Uffz. Werner zeigte es uns, mit Hilfe eines Stückes Pappe das genauso groß war wie eine zusammengelegte Zeitung. Diese legte er mittig auf das Kleidungsstück und hatte nach dem die Kanten straff gezogen waren ein exakt zusammengelegtes Hemd. Mich begeisterte das Ergebnis richtig. Freiwillig erklärte ich mich bereit, es als erster nach zu machen. Da es beim ersten Mal nicht so exakt wurde schrie Werner gleich rum, das machen sie noch mal wie das Aussieht, wir sind doch hier nicht beim Lumpenhändler. Nach dem dritten Versuch, sah es wie gemalt aus und ich hatte meine erste Lektion gelernt, niemals etwas freiwillig zu machen. Wir lernten Stück für Stück wie ein Spind auszusehen hat, welcher Hemd und Jackenknopf  am Kleidungsstück geschlossen sein musste und welcher nicht. Der ganze Krempel ging bis weit nach Mittag. Im Anschluß ging es zum Friseur. In den 70ziger Jahren wurden die Haare länger getragen. Beim Soldaten wurden sie kurzgeschnitten. Man brauchte gar keine Uniform anhaben, schon am Haarschnitt sah man  wer bei der Armee war. Es hatte was demütigendes, wie man rum rennen musste. Aber die Friseuse war eine Nette und hatte Charme, vielleicht kam es mir auch nur so vor, bei diesem Umgangston der auf der Kompanie herrschte. Nach dem Haare schneiden gingen die Unterweisungen auf dem Zimmer weiter, Thema Zimmerordnung. Verantwortlich für die Zimmerordnung war der Stubenälteste. Während der sechs Wochen Grundausbildung wurde jeder einmal Stubenältester, damit es jeder lernte. Nach der Grundausbildung sollten wir auf die Zimmer des zweiten und dritten Diensthalbjahres aufgeteilt werden. Jedem von uns war klar was das hieß und bedeutete.
Der Springer auf dem Zimmer  flitzt,
Der Vize auf dem Hocker sitzt,
Der E auf dem Bette ruht,
So jeder seine Arbeit tut.
An diesem Abend wurde Päckchen bauen geübt.  Kurz vor der Nachtruhe, die war in der Woche 22.00 Uhr, mussten die Sachen exakt ausgerichtet auf den Stubenhocker gebaut werden. Die Stiefel hatten fein säuberlich geputzt unter dem Hocker zu stehen. Uffz. Werner kontrollierte jeden Abend das Ergebnis. Fand das Päckchen nicht seinen Gefallen schmiss er es runter. Das konnte bis zu fünf, sechs mal so gehen. Wer da dran war, hing in erster Linie von der Laune des Uffz. ab und nicht von der Qualität des gebauten Päckchens. Am nächsten Morgen hatte ich etwas mehr Zeit, ich konnte in Ruhe mein Bett bauen. Wenn man nicht so unter Druck stand, ließ sich das besser machen. Über mir schlief Guido Paulick, er sagte mir er käme aus Panschwitz – Kuckau  ein kleines Dorf bei Kamenz. Überhaupt von den Zehn Soldaten auf unserem Zimmer kamen Neun aus dem Bezirk Dresden. Nur Frank Böhr kam aus dem Bezirk Erfurt. Schnell stellte sich raus warum, er hatte sich für 3 Jahre verpflichtet. Brauchte aber nicht auf die Unteroffiziersschule, da er hier in der Kaserne ein Spezialfahrzeug übernehmen sollte und dieses durften nur   3 – Jährige fahren.
Jedenfalls nutzte ich die Zeit um Guidos Bett mit zu bauen. Nach dem Frühsport bedankte er sich dafür und zupfte an den verschiedenen Bettzipfeln noch rum. Ich konnte ihn verstehen, denn die Uffze. hatten angekündigt schlecht gebaute Betten einzureisen. Schließlich war er für sein Bett selber verantwortlich.
Nach dem Waschen hieß es gleich wieder raus treten  zum Frühstück und im Anschluss war Morgenappell. Ich war der Meinung als Innendienstkranker geht das mich nichts an und verkrümelte  mich auf die Toilette um mein großes Geschäft zu verrichten.
Zum Morgenappell überprüfte der Major persönlich die Anwesenheitsliste. Ich hörte wie die Soldaten antworteten, hier Genosse Major. Auf einmal hörte ich wie mein Name aufgerufen wurde, ach du Schei… da war ja die Kacke wirklich am dampfen. Ich beeilte mich von der Schüssel zu kommen. In zwischen hörte ich den Major brüllen, wo ist der Soldat Müller. Irgendeiner von den Soldaten sagte, scheißen Genosse Major. Die Kompanie brüllte vor lachen. Die Stimme vom Major erreichte eine nicht für möglich gehaltene Lautstärke als ich von der Toilette geflitzt kam. Eigenartiger Weise war das bei mir so, wenn jemand rumbrüllte wurde ich nach dem ersten Schreck immer ruhiger. Es interessierte mich überhaupt nicht, als er mich anbrüllte, was ich mir rausnehmen würde nicht zum Morgenappell zu erscheinen. Ich sagte ruhig, ich bin Innendienstkrank und musste außerdem auf die Toilette. Die Kompanie lachte wieder. Als er merkte das mich sein Geschreie nicht anhob wurde er auf einmal ruhiger und meinte, Müller beim Morgenappell hat jeder zu erscheinen egal ob er krank ist oder nicht. Und das mit der Toilette trainieren sie sich an, dass sie nicht zum Morgenappell müssen. Im Anschluss begutachte er persönlich die Haarschnitte der gesamten Kompanie und schickte den größten Teil des dritten Diensthalbjahres zum Friseur, unter Aufsicht von Leutnant Luderer. Den faltete er gleich mit zusammen und sie lassen sich auch die Haare schneiden, sie mit ihren unmilitärischen Haarschnitt. Die EKs lachten vor Schadenfreude, der Leutnant protestierte. Als die E`s vom Haare schneiden wiederkamen viel dem Major sofort auf der Leutnant hatte sich die Haare nicht schneiden lassen. Er ging mit ihm noch einmal persönlich zum Friseur. Dem Leutnant fehlte einfach die geistige Frische um sich zu wehren.
Nach dem Morgenappell ging es zum Fotografieren. In den Wehrpass musste noch das Passbild hinein. Wie ich so vor der Linse saß wurde mir das ganze Elend so richtig bewusst und bekam einen gewaltigen Klos in den Hals. Ich musste mehrmals schlucken um ihn runter zu bekommen. Während das erste Diensthalbjahr das Marschieren übte, wurde ich mit Innendienstarbeiten beschäftigt. Das hieß konkret ich musste den etwa 30m langen Flur auf der Kompanie kehren und wischen. Der Major entblödete sich nicht mir zu erklären wie man den Schrupper richtig hält. Er war eben der große Zampano. Als ich am Gangende angelangt war konnte ich das erste Mal in den Fahrzeugpark schauen ohne das mir jemand auf die Pelle ging. Bewundernd schaute ich auf die Fahrzeuge die in Reih und Glied, wie an einer Perlenkette aufgefädelt, da standen. Es waren alles Tatrafahrzeuge vom Typ 148. Direkt vor mir standen die Pritschen mit Hänger und am anderen Ende im rechten Winkel dazu die Tanker. Voller stolz dachte ich und du wirst auch so ein Fahrzeug übernehmen. Im Anschluss ging ich auf die Toilette, ich musste mal für kleine Jungs. Mich überkam ein Gefühl von endloser Leere. Ich dachte, bloß gut das du dich nicht für drei Jahre Dienst verpflichtest hast. Mir fiel zentnerweise Last von der Seele, als ich den ersten klaren Gedanken wieder fassen konnte. Der Schleier vor den Augen war zerrissen.

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