Donnerstag, 1. September 2011

EK

 Die Tage vergingen im Oktober wie im Flug. Am 21.10.1980 feierte ich meinen 21. Geburtstag. Vom Resi mal abgesehen war ich der zweitälteste auf der Stube. Nur Arno war zwei Jahre älter wie ich. Zur Feier des Tages  holte ich im „ Einarmigen“ zwei Teile Bier. Von Vater und Conny bekam ich jeweils ein Paket. Damit hatte sich mein Geburtstag erledigt. Mit dem Bierholen gab es Anfang Oktober ein paar Probleme. Wir hatten Fahrzeugumstellung, diesmal auf  Winterbetrieb. Für diese Zeit hatte der Batailloner Reservisten von den Motschützen geordert. Als wir unsere Springer nach Bier schickten machten die Späne und wollten sie nicht rauslassen. Bengert, Meise und ich tobten nach unten zu dem Posten. Mario fragte warum lässt du unsere Springer nicht Bier holen? Das wisst ihr ganz genau, rief er und brachte sein Gewehr in Anschlag. Mario lachte und stellte sich vor die Mündung und sagte schieß doch du Weichei. Der Soldat fing an zu jammern, hört auf ich habe Frau und Kinder. Wenn ich jemanden erschießen muss wie soll ich damit Leben. Ich sagte zu ihm, du weißt schon die Schusswaffe ist die höchste und letzte Form der Gewaltanwendung und nur weil wir Bier holen wollen kannst du niemand erschießen. Meise sagte beruhig dich erst einmal, bei uns ist das so, wenn die Wache wegsieht bekommt sie zwei Flaschen Bier und weil du ein Lieber bist bekommst du vier. Wenn sie unsere Leute mit dem Bier erwischen, warst du gerade am anderen Ende das Postenweges. Nach kurzem Überlegen willigte er ein. Das sprach sich bei den Motschützen schnell rum und es gab keinen Ärger mehr.
Einige von meinen Kameraden waren im Erholungsurlaub gewesen. Arno kam aus dem Urlaub nicht wieder, keiner wusste was. Nach vier Tagen kam ein Lebenszeichen von ihm, er lag im Krankenhaus. Als er dann wieder in der Kaserne erschien fehlten ihm die oberen Schneidezähne. Das sah schon ganz schön brutal aus. Es sollten noch ein paar Wochen ins Land gehen bis sie ersetzt wurden. Arno war auf der Landstraße mit seinem Moped unterwegs gewesen, hinter einem Laster. Dieser war mit Zwillingsreifen ausgestattet. Zwischen diesen hatte sich ein Stein verklemmt, der sich irgendwann löste. Das passierte genau in dem Moment als Arno hinter diesem herfuhr. Der Stein traf ihn mitten im Gesicht. Kurz nach diesem Unfall bekam Arno von seinem Bruder Besuch. Zufälliger Weise liefen mir beide über den Weg. Wir setzten uns auf eine Bank im Kasernengelände und genossen die letzte Sommerwärme. Arnos Bruder hieß Arnold und hatte genauso wie er beruflich mit der Fernsehtechnik zu tun. Wir unterhielten uns über das Westfernsehen. Arnold meinte in ungefähr 10 Jahren sind die mit ihrer Technik soweit, das man mit Hilfe der Satellitentechnik in die ganze Welt senden kann. Skeptisch fragte ich, wie soll denn das Funktionieren. Er erklärte mir, dass von der Erde Signale in den Weltraum gesendet werden. Diese würden dann von dem Satelliten aufgefangen und weitergeleitet. Mit einer Antenne die ähnlich wie eine Radarschüssel aussieht kann man die Signale empfangen. Mit anderen Worten du meinst wir könnten dann auch im Raum Dresden Westfernsehen schauen. Arnold nickte, zumindest theoretisch, da brauchst du schon einige Technik und ob diese in der DDR verfügbar wäre, müsste man sehen. In Gedanken sah ich mich schon Westfernsehen schauen. Auf das was man nicht hatte war man besonders scharf. So etwas lag nun mal in der menschlichen Natur. 
Auf der Kompanie gab es bei den Sattelfahrern zwei Springer, diese fielen mir durch ihr Wesen besonders auf. Sie hießen Rosenbaum und Ziege. Beide kannten sich schon vor der Armeezeit und machten in ihrer Freizeit gemeinsam Musik. Sie hatten in ihrem Charakter etwas Aufmüpfiges. Nicht gegen die EK – Bewegung, da ließen die EK’s und Viezen keine Luft ran. Im Gegensatz zu den Tankerfahrern zogen bei den Sattelfahrern alle an einem Strang. Bei uns auf der Stube lag das meistens in Meises und meiner Hand. Aber gegen die Offiziere da waren die Beiden für ihr Diensthalbjahr ungewöhnlich aggressiv. Ich unterhielt mich hin und wieder mit ihnen, vor allem mit Ziege. Eines Tages fragte er mich ob ich das Buch von Eberhard Panitz  kennen würde, Gesichter Vietnams. Ich verneinte und fragte, was ist mit dem Buch? Solltest du mal lesen, da ist eine Abhandlung über My Lai drinnen, da würde mich mal deine Meinung interessieren. Ich hakte nach, du meinst das Kriegsverbrechen in Vietnam mit dem Calley. Genau dieses, antwortete er. Ich nahm mir vor im nächsten Urlaub kaufst du dir das Buch. Urlaub war das Stichwort meinen EU für das zweite Diensthalbjahr musste und wollte ich noch nehmen. Ich fuhr zu Conny und Thomas nach Heidenau. Conny meinte Thomas ist nachts ein ganz schöner Schreihals, man kommt kaum zum Schlafen. Conny selber machte einen relativ aufgeräumten Eindruck.  Die Nachwehen der Geburt schienen langsam zu verblassen. Ich raffte mich auf und ging zur Betriebsgewerkschaftsleitung ( BGL ) und bat um Unterstützung bei der Wohnungssuche. Man versprach mir, nach Beendigung des Wehrdienstes, mich bei der Suche zu unterstützen. Der Betrieb hätte schon einen gewissen Einfluss bei der Vergabe von Wohnungen in und um Dohna. Einen Tag verbrachte ich mit Becki, Roland und Hüni. Es tat mir persönlich gut solche Freunde zu haben, wo man sich ausheulen konnte und die auch mal zuhörten. Viel zu schnell war der Urlaub wieder um. Diesmal nahm ich einen Zug eher nach Erfurt um mir den Ärger mit der Militärpolizei zu ersparen. Vor Reiseantritt kaufte ich mir im Zeitungskiosk das Buch von Panitz. Um mir die lange Weile zu vertreiben, lief ich durch den Zug. Die Mitropa hatte einen kleinen Verkaufsstand eingerichtet. Ich schaute schon einmal was für Bier die hatten. Wenn es Gutes war würde ich auf dem Rückweg mir zwei Flaschen mitnehmen. Beim Einsteigen hatte ich es schon gesehen. Die Bundesbahn hatte zwei Kurswagen anhängen lassen. Gemütlich bummelte ich durch die beiden Hänger. Auf einmal blieb ich verwundert stehen. Die DSG hatte ebenfalls einen kleinen Verkaufsstand und was es da alles gab, es war unglaublich. Sprenglerschokolade, Toblerone, Getränke in Büchsen, Bier und Limonade und noch vieles Andere aus der BRD. Verwundert fragte ich den Verkäufer und das verkaufen sie hier für DM. Nein, meinte er, wir nehmen immer die einheimische Währung. Fassungslos schaute ich ihn an, das ist doch nicht ihr Ernst? Aber selbstverständlich gab er halb beleidigt zurück. Ich erkundigte mich nach den Preisen. Die waren ähnlich wie die der Mitropa. Ich hatte noch nie Bier und Limonade aus Büchsen getrunken. Ich kaufte fünf Büchsen Dortmunder Union, zwei Büchsen Coca Cola und zwei Büchsen Sprite. Das verpackte er mir alles noch in einen schicken Plastikbeutel. Stolz wie Graf  Koks marschierte ich von dannen und konnte es immer noch gar nicht fassen. Eine Büchse Bier wollte ich gleich trinken und den Rest mit meinen Kameraden teilen. Das Ergebnis wirkte ernüchternd, das Bier schmeckte nach Büchse und wurde auch nur mit Wasser gebraut. Was hatte ich eigentlich erwartet? So richtig war ich mir darüber selber nicht im Klaren. Es gab auch wichtigeres im Leben. Aber es kam aus dem Westen und nur das zählte. Am nächsten Tag testeten meine Kameraden die Getränke. Bei der Coca Cola kamen wir mehrheitlich zum Schluss der Vita Kola von uns kann sie das Wasser nicht reichen. Die Sprite wäre dem Margonwasser sehr ähnlich und genauso gut. Beim Bier fehlten uns die Vergleichsmöglichkeiten. Die Dose schmeckte deutlich hervor. Dosenbier gab es bei uns keines. Das Dortmunder Union müsste man mal aus der Flasche trinken, da hätte man einen reellen Vergleich.
Wenn ich Zeit hatte setzte ich mich hin und las das Buch, Gesichter Vietnams. Es enthielt verschiedene Abhandlungen. Unter anderen von einem ehemaligen Fremdenlegionär der in Dresden geboren wurde. Der Artikel über My Lai erschütterte mich. Hinter dem Leutnant Calley versteckten sich höhere Offiziere die auf einmal an Gedächtnisschwund litten. Frauen und Kinder erschießen war die eine Seite, aber der Vietcong die Andere. Der Vietcong war keine reguläre Armee und viel somit auch nicht unter die Genfer Konvention. Das die Frauen und Kinder für ihre Ziele missbrauchten war auch ein Verbrechen. Ich unterhielt mich mit Ziege darüber. Einig waren wir uns darüber das die USA der Aggressor war. Was da passiert ist, war eine unglaubliche Schweinerei. Die hatten in Vietnam nichts zu suchen, die USA müsste als Land vor Gericht stehen. Den Calley vors Loch zu schieben war für sie das Einfachste, machte das Geschehene aber nicht besser. Was Ziege und mich beschäftigte war die Frage, was passiert wenn mir nach Polen einrücken müssten. Genfer Konvention was besagte die eigentlich, im Politunterricht ist sie noch nicht einmal erwähnt wurden. Auch wenn ich da immer schlief, wäre das auf den Stuben ein Gesprächthema gewesen. Was würde ich machen, wenn ich in so eine Situation kommen würde? Ich verbannte die Gedanken in die hinterste Ecke der Welt. Ich wollte gesund und munter von der Armee nach Hause kommen, das stand für mich im Fordergrund. Da half die erste Lektion die ich bei der Armee gelernt hatte, niemals freiwillig melden.
Am 30.10. wurden die Resis und E’s entlassen. Jetzt waren wir die Alten und feierten uns selbst, wie wild schwenkten wir unsere Maßbänder und sangen unser EK – Lied. Einen Tag später erfolgte die Beförderung zum Gefreiten. Laut und deutlich ertönte der Dank des Beförderten, ich diene der Deutschen Demokratischen Republik. Mir blieb dieser Spruch erspart. Roos meinte die Nichtbeförderten sollten einmal darüber nachdenken warum sie nicht beförderten wurden. Insgesamt waren es drei Mann die es betraf, Mario Bengert, Jens Meißner und mich. Bei allen dreien rief die Nichtbeförderung unterschiedliche Reaktionen aus. Mario war richtig enttäuscht und sagte ich versteh das gar nicht. Wirklich, fragte ich Mario? Mario wurde aggressiv, du willst es mir doch nicht etwa sagen. Doch Mario, antwortete ich. Du hast den Tankhänger umgekippt. Mit der Nichternennung zum Gefreiten bist du doch gut davon gekommen. Mario schäumte, wie oft soll ich es dir noch sagen, ich war nicht schuld. Die Feder war gebrochen. Ich schüttelte den Kopf, du weist es besser und ließ ihn stehen. Meise wurde nachdenklich und meinte, da sieht es nicht gut aus für meine christliche Seefahrt. Wenn ich nicht befördert werde, kann ich das knicken. Ulf schleimte ich verstehe das gar nicht, dass sie dich nicht befördert haben. Ach nein sagte ich angefressen zu Uschi, wer hat sich den immer hinter Meise und mir versteckt, wenn es darum ging die Springer auf Vordermann zu bringen. Ihr alle hier! Bei den Sattelschleppern gab es so was nicht. Es wurde ruhig auf dem Zimmer. Keiner sagte etwas, ich dafür umso mehr.  Rudi gehst du die neuen Springer aufs Zimmer holen. Er schaute mich nur an und schüttelte den Kopf. Ist auch nicht weiter schlimm, aber hört auf so rum zu schleimen. Ich war stolz darauf nicht befördert wurden zu sein und sagte ein Teil Bier heute Abend bezahle ich. Die peinliche Stille löste sich. Ich ging zu meinem Spind und diesmal knickte ich meine Schulterstücke selber und zwar längst. Jeder hatte eben seinen eigenen Stolz und das war meiner!!!

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