Montag, 5. September 2011

Die einzig wahren E's



Am 2. November wurde ich zur Wache eingeteilt. Ich war der Soldat von unserem Diensthalbjahr der die wenigsten Wachen gestanden hatte. Das sollte sich nun schlagartig ändern. Uffz. Graichen war der Wachhabende, er teilte die Posten ein und machte die Wachbelehrung. Meise, Bengert und ich ließen uns ans KDL einteilen. Wir wollten unbedingt die Neuen in Empfang nehmen. Erst einmal nahmen wir 17.00 Uhr unsere Waffen in Empfang und mumpelten zwei Magazine mit insgesamt 60 Schuss auf. Beim Munitionsempfang kam die deutsche Pinglichkeit so richtig zur Geltung. Für jede einzelne  Patrone wurde in ein viereckiges Brett ein Loch gebohrt. 120 Löscher befanden sich auf solch einem Brett. Exakt ausgerichtet im Raster 4 x 30. So konnte der Unteroffizier auf dem ersten Blick erkennen ob eine Patrone fehlt. Die Bretter trugen bei uns den Namen Mumpelbretter. Wehe es fehlte eine Mumpel, da hatte man ein Problem an der Backe. Unter der Hand kam man immer an Munition ran, die Uffze. hatten während ihrer Dienstzeit genug Möglichkeiten sich Patronen zu besorgen. Es galt der Tauschsatz eine Mumpel ein Teil Bier. Aber ich passte da immer auf das keine abhanden kam, das fehlte noch, den Hohlkörpern von Unteroffizieren Bier in den Rachen zu schütten. Wenn man bei Manövern mit russischen Soldaten zusammenkam, konnte wer wollte, sich bei den Russen immer welcher erhandeln. Die trugen teilweise die Patronen in den Hosentaschen. 18.00 Uhr zogen wir zur Vergatterung. Der Wachwechsel verlief reibungslos. OvD war Hauptmann Pemsel, ein Offizier der ersten Kompanie. Der war ein richtiger Kampftrinker. Wenn er gut drauf war hatte er während des Dienstes seine Bluse zur Hälfte aufgeknöpft und die Schirmmütze in den Nacken geschoben. Wir nannten ihn Papa Pemsel.
15.00 Uhr sollten die neuen Springer am Bahnhof eintreffen. Graichen teilte uns so ein das wir von   14.00 – 18.00 Uhr am KDL standen. In Gedanken sah ich uns noch einmal durch das Kasernentor fahren. Das war nun genau ein Jahr her. Dann war es endlich soweit die Neuen kamen. Kempe, Kuchta und Heininger fuhren die Lkws. Auf jedem waren 20 Springer. Bengert und Meiße öffneten die Tore. Wir verbeugten uns tief als die drei Fahrzeuge das Tor passierten. Die Beiden schmissen es zu, dass es nur so schepperte. Ich schwenkte schon mal mit dem Bandmaß. Mario und Jens beeilten sich es mir gleich zu tun. Ich schaute in die Gesichter der Neuen. Genau wie bei uns, Angst, Neugier und Ungewissheit schaute vom Lkw herunter. Der Rest des Bataillons hing am Fenster und belegte die Springer. Eine Woche ließen wir sie in Ruhe. Das hatten wir mit Chaleri und Co. so vereinbart. Mit Meise ging ich auf das Zimmer der Springer. Da war ich mir sicher, das würde wieder nach Schema F ablaufen, sie würden versuchen sich zu wehren um dann zusammenbrechen. Als erstes stellte ich uns vor und sagte: Das ist Soldat Meißner und ich bin Soldat Müller vom dritten Diensthalbjahr. Ihr habt richtig gehört Soldat und nicht Gefreiter. Meise ergänzte, das haben wir uns schwer verdient, wir sind die einzig wahren E’s. Weshalb wir hier sind fuhr ich fort, könnt ihr euch denken. Wir werden euch jetzt für den Zimmerdienst bei uns einteilen. Da beist die Maus kein Faden ab, das ist so. Wenn das alles funktioniert wird auch keiner schikaniert.  Die Springer rückten näher zusammen, sie scharrten sich um ihren Wortführer. Er war seinen Kameraden körperlich weit überlegen und schien auch sonst so ein recht helles Köpfchen zu sein. Er hieß Sperling. Schon im Vorfeld hatten Meise und ich ihn ausgekuckt. Wenn wir den knacken hatte der Rest verspielt und das war nur eine Frage der Zeit. Sperling sagte mein Vater ist Oberstleutnant auf der Militärakademie in Dresden und ich weiß bescheid, wie das bei der Armee lang  läuft. Wir lassen uns nicht schikanieren und rumkommandieren. Ich sagte zu ihm, es ist schön dass dein Vater Berufsoffizier ist, da muss ich dir ja nicht lange erklären wie es bei der Armee funktioniert. Dein Vater hat dir bestimmt schon einmal erzählt, das es in der Armee genauso wie bei jeder anderen Arbeit eine Hackordnung gibt. Wer sich daran hält ist ein Teil der Gesellschaft, dem wird es seiner Position angemessen gut gehen. Wer dagegen auflumpert, der wird der Außenseiter sein und Spießruten laufen. Es steht jedem frei sich seine Seite auszusuchen. Der Letzte der versucht hat gegen die ungeschriebenen Gesetzte aufzubegehren, hatte einen Vater im Verteidigungsministerium in Berlin. Den haben sie noch während der Ausbildungskompanie versetzt. Zu den Fußlatschern ergänzte ich, obwohl ich es nicht genau wusste. Aber das klang gut, da wollte keiner hin. Außerdem hast du nicht richtig zu gehört, wir wollen niemanden rumkommandieren, wir wollen nur dass ihr die Arbeit macht die wir vor einem Jahr auch machen mussten und du wirst für mein Bett verantwortlich sein. Die übrige Arbeit kennt ihr ja. Ist das klar? Alle nickten, einige verbittert. Mit Meise hatte ich schon abgesprochen wenn wir fürs erste Mal nehmen. Er zeigte auf Krause, er war der Kleinste von ihnen und du kommst auch mit. Beide trabten uns hinterher. Nachdem sie ihre Arbeit verrichtet hatten schoben wir ihnen eine Flasche Bier zu und sprachen mit ihnen ab, wie das Ganze hier so lang zu laufen hat. Zuckerbrot und Peitsche waren immer noch die besten Mittel. Die Springer und allen voran Sperling mochten mich nicht, dafür hatte ich Verständnis. Aber sie hatten Achtung vor mir und machten im Großen und Ganzen ihre Arbeit. Sperling war gelehrig, er ging auch ohne Probleme mit Bier holen. Eines Tages bat ich ihn Bier für unser Zimmer zu holen. Er maulte rum, wegen zwei Teilen laufe ich nicht zum „Einarmigen“.  Erstaunt sah ich ihn an und fragte wie meinst du das? Na vier müssten es schon sein. Ich sagte da nimmst du eben noch einen mit aus deinem Zimmer. Nein meinte er, die trage ich alleine. 80 Flaschen Bier willst du alleine tragen, fragte ich zweifelnd? Kein Problem, sprach er. Ich stellte ihm vier Teile hin und er trabte ab. Eine Stunde später war er wieder da. Sperling war von der Figur her schon ein Hüne aber das hätte ich ihm nicht zugetraut.
Es war schon erstaunlich was manch einer von unserem Diensthalbjahr für eine Entwicklung genommen hatte. Da war z.B. Guido. Er war immer einer von den Ruhigen, der konnte keiner Fliege was zu leide tun. Eines Tages erlebte ich, wie er einen Springer rund machte der aufzuckte. Erst ließ er ihn den Gang kehren und anschließend seine Schuhe putzen. Dabei schimpfte er wie ein Rohrspatz auf den Springer. Überhaupt war Guido zu einen Unikum geworden. Guido war ja kein Deutscher, er war Sorbe. Bis zur vierten Klasse wurden sie zweisprachig unterrichtet. Er hatte eine sorbische Freundin, die schrieb ihm die Briefe auch in sorbischer Sprache. Nur hatte Guido die schriftliche Sprache verlernt. So musste er immer zu seinem sorbischen Kumpel Sebastian auf die erste Kompanie flitzen. Der übersetzte ihn die Briefe ins Deutsche. Dinge gab es im Leben, da konnte man nur staunen. Auch Thomas Kuchta hatte eine bemerkenswerte Entwicklung genommen. Er war wie die Feuerwehr, wenn die Springer versuchten auf zu lumpern. Ich sagte zu ihm, ich kann mich ganz schwach daran erinnern, dass mir mal irgendjemand im ersten Diensthalbjahr eine Abhandlung über die gerechte Behandlung von Springern erzählt hat. Thomas grinste, ich weis nicht was du meinst. Das jede Medaille zwei Seiten hatte, bekam ich auch beim Wache schieben zu spüren. Als ich noch Chef der Feuerwache war hatte mir Oberleutnant Friedrich vom Sanitätsbataillon einmal richtigen Sackgang bereitet. Er war der leitende Offizier der Feuerwache und hatte unsere Einsatzbereitschaft bemängelt. Immer wieder scheuchte er uns mit Feuerhaken und Löschutensilien durch das Kasernengelände und hielt uns Vorträge über die sozialistische Einsatzbereitschaft. Dieser Offizier erdreistete sich mit fünf Reservisten gegen 23.00 Uhr vorm KDL zu erscheinen um mir zu erzählen, sie wären im Gruppenausgang gewesen. Normalerweise interessierten mich solche Dinge nicht aber bei so einem Vogel passte ich genau auf. Am Ende drehte der noch einem einen Strick daraus. Den Ausgangsschein, sagte ich zu ihm. Er versuchte es auf Kumpel, hör mal lass sie rein du weist doch wie das hier lang läuft, bist doch ein EK. Eben drum, den Ausgangsschein. Er hatte keinen, ich ließ den OvD holen. Das war gut so, keine 14 Tage später wurde er strafversetzt. Sie hatten ihn mit 2,1 Promille am Lenkrad erwischt. Der Polizei hatte er erzählt, er wäre im Einsatz und müsste sich umgehend im Bataillon melden. Lügen haben kurze Beine, sein Geschwafel hatten sie schnell durchschaut. Er war schwerer Alkoholiker und nicht mehr in der Lage ohne Teufel Alkohol zu leben. Überhaupt musste ich sagen, Offiziere die bei uns im Objekt arbeiteten aber nicht zum Bataillon gehörten, legten das Prinzip Leben und Leben lassen immer zu ihren Gunsten aus. Am schlimmsten war der Militärstaatsanwalt. Vom Dienstgrad war er ein Oberstleutnant und hatte eine Sonderstellung. Seine Räumlichkeiten waren gesondert gesichert. Da hatte nicht einmal der Batailloner unangemeldet etwas zu suchen. Dieser Schnösel von Offizier war mir zweimal so richtig dumm gekommen. Als er früh 6.00 Uhr zum Dienst erschien, löffelte er mich voll weil ich den Kragenknopf nicht geschlossen hatte. Er hätte es auf die Freundschaftliche machen können aber er zog es vor mich richtig dumm anzumachen. Das zweite Mal war er der Meinung ich hätte seinen Dienstausweis nicht richtig kontrolliert. Er hielt mir einen Vortrag, sein Passbild könnte ja auch gefälscht sein und nur weil ich zu faul wäre seinen Ausweis vorschriftsmäßig zu kontrollieren könnte sich der Klassenfeind in die Kaserne schleichen. Stumm ließ ich die Kritik über mich ergehen, ich wusste ganz genau, irgendwann kriege ich ihn. Was ging nur in solchen kranken Köpfen vor? Eines Tages war es soweit, er hatte seinen Dienstausweis vergessen. Genau wie Oberleutnant Friedrich versuchte er es auf die kumpelhafte Art. Ich sagte zu ihm, Genosse Oberstleutnant ich habe keine Lust bei ihnen vor Gericht erscheinen zu müssen, weil ich den Klassenfeind hereingelassen habe. Also kehrt Marsch, holen sie ihren Ausweis. Er wollte Aufbegehren. Ich sagte zu ihm, muss ich erst den OvD holen? Er trabte ab.

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